Dienstag, 14. März 2023

Vera Gallistl, Soziologin

Alter(n)sforschung in den Kinderschuhen

Dr.in Vera Gallistl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, über die Disziplin der Alter(n)sforschung, lebenslanges Lernen und weshalb sie beim Thema Alter ein gesellschaftliches Umdenken für notwendig hält.

Warum begeistert sich eine junge Frau für die Alter(n)sforschung? Immer wieder wird Vera Gallistl diese Frage gestellt. Für die Wissenschaftlerin ein Hinweis darauf, dass dieser Lebensabschnitt mit all seiner Vielfalt und Aktualität noch nicht wirklich in der Gesellschaft angekommen ist: „Am Alter(n) hängen ganz viele Dinge, die das ganze Leben bereits wichtig sind. Man könnte fast sagen, gutes Altern beginnt in jungen Jahren. Diese Perspektive verständlicher zu machen, ist mir sehr wichtig. Meine Forschungsarbeit trägt dazu bei.“ Schon während ihres Studiums der Soziologie beschäftigte sich Vera Gallistl intensiv mit den Themen Alter(n), Generationen und Lebenslauf. „Einer der wichtigsten Schritte war die Entscheidung für die Spezialisierung auf Alter(n)sforschung in meinem Soziologie-Studium. Ich wollte meine Bachelorarbeit zum Thema Babyboomer und deren Wohnwünsche schreiben und nachdem es kein spezialisiertes Seminar zu dem Thema gab, habe ich mich nach Alternativen umgeschaut. Daraus haben sich nicht nur eine Zusammenarbeit mit Prof. Franz Kolland an der Universität Wien, sondern auch einige Forschungsprojekte und später eine Dissertation sowie mein Weg an die Karl Landsteiner Privatuniversität ergeben.“

Altern beginnt in der Jugend
Der Bereich des Alterns und auch die Forschung dazu werden irrtümlich als defizitär dargestellt, so die Wissenschaftlerin. „Das Altersbild in der Öffentlichkeit ist immer noch überwiegend negativ. Oft wird vermutet, dass in dieser Zeit nichts mehr Spannendes passiert, oder es beim Älterwerden nur ums Kranksein, Demenz und Einschränkungen geht. Für die meisten ist es ein Thema, dem man sich so spät wie möglich widmen will, das führt auch dazu, dass man wenig Erfahrungen mit dem Altern und älteren Menschen machen kann. Natürlich spürt die ältere Generation diese Ausgrenzung und macht nicht selten reale Ausschlusserfahrungen.“ Würde man die Lebensphasen ein bisschen mehr aufweichen und weniger kategorisieren, wären neue Perspektiven möglich, erklärt Gallistl. „So kann man sich beispielsweise die Frage stellen, was junge Generationen in der Arbeitswelt brauchen, um länger fit zu bleiben und gut mit Arbeit altern zu können, anstatt sich nur Gedanken über das Pensionsantrittsalter zu machen. Wie kann das in der Gesellschaft gelingen? Das bedeutet zum Beispiel, dass wir das Verhältnis von Arbeit und Freizeit den ganzen Lebenslauf hinweg und nicht nur im „Ruhestand“ des Alters diskutieren müssen.“

In ihrer Arbeit kann Vera Gallistl statt über die Menschen zu forschen mit ihnen gemeinsam mögliche Szenarien mit realen Konsequenzen entwickeln. „Lebenslanges Lernen, Neugierde und vor allem das Bedürfnis, Teil der Gesellschaft zu bleiben, hören ja im Alter nicht plötzlich auf. Ich denke es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder vor Augen halten.“

Feine Unterschiede – große Ungleichheiten
Bereits während ihres Studiums hatte die Forscherin großes Interesse an sozialen Unterschieden und Ungleichheiten. „Wie entsteht es, dass wir Menschen als unterschiedlich voneinander wahrnehmen? Welche feinen Unterschiede gibt es in der Art wie wir leben, uns kleiden, essen, sprechen, unsere Freizeit verbringen? Dabei haben mich Geschlechts- und Bildungsunterschiede interessiert, aber eben auch Altersunterschiede – wie und wann werden Menschen als „alt“ oder „jung“ wahrgenommen? Welche unterschiedlichen Rollen und Rollenerwartungen gehen damit einher?“ Mit all diesen Fragen kann sie sich am Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung auseinandersetzen. „Besonders die Möglichkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit an der Karl Landsteiner Privatuniversität hat mich gereizt. Als Soziologin, die im Bereich der Gerontologie arbeitet, hat mich der Austausch mit Kolleg:innen aus Medizin, Psychologie und vielen anderen Disziplinen interessiert, weil Altern ein so vielfältiger Prozess ist, den man aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven betrachten muss. Das Kompetenzzentrum in Krems bietet dafür den idealen Rahmen.“

Ressourcen sichtbar machen
Gerontologische Forschung ist in Österreich an vielen Orten verteilt, bislang gab es aber kein Zentrum für Gerontologie. Das war für Vera Gallistl einzigartig und eine große Motivation. „Ich bin seit 2020 in mehreren Projekten beschäftigt, etwa in einem, welches sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Pflege beschäftigt - ein bisher wenig beforschtes Gebiet.“ Alter und Digitalisierung seien allgemein zwei große Trends, deren Verbindungen und Relationen unterschätzt und bislang wenig verstanden werden, so die Wissenschaftlerin. „Hier gibt es noch viel zu tun, sowohl im Bereich der Internetnutzung, der digitalen Kompetenzen aber auch der Pflegerobotik und vielem mehr. In der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte gilt es meiner Meinung nach, negative Altersbilder aufzubrechen und damit verbunden auch die Leistungen Älterer in unserer Gesellschaft als wichtige Ressource sichtbar zu machen.“

Link zum Forschungsportal KRIS

Dr. Vera Gallistl-Kassing BA MA

Dr. Vera Gallistl-Kassing BA MA

Wissenschaftliche Mitarbeiterin (PostDoc)
Kompetenzzentrum Gerontologie und Gesundheitsforschung

Department für Allgemeine Gesundheitsstudien