Freitag, 29. Juli 2022

Ungewissheit als Chance

Eine Studie an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL) untersuchte die theoretische Bedeutung der Selbstorganisation für krankheitsbezogene Ungewissheit im chronischen Krankheitsverlauf.

Die Erkenntnisse der Arbeit aus dem Fachbereich Pflegewissenschaft liefern bisher einzigartige und theoriebasierte Hinweise für zukünftige pflegerische Interventionsentwicklung zur Förderung des Selbstmanagements von Menschen mit einer chronischen Erkrankung. 

 


 

Chronische Erkrankungen ziehen sich durch alle Altersgruppen in Österreich. Sogar jeder Dritte aus der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen hat ein chronisches Gesundheitsproblem, zeigt die aktuelle Auswertung des Austrian Health Report 2022 mit einem Stichprobenumfang von 1500 Personen. Die repräsentative Studie zu Gesundheitsbefinden, Auswirkung der Pandemie, Zugang zum Gesundheitssystem und Vertrauen in Arzneimittel wurde kürzlich veröffentlicht. Rund 4 von 10 Befragten haben ein chronisches Gesundheitsproblem oder eine dauerhafte Krankheit. Ein Drittel der chronisch erkrankten Befragten sucht zumindest einmal pro Monat ein Krankenhaus auf. Mitarbeiter_innen im Gesundheits- und Pflegebereich sind damit nicht nur mit gesundheits- bzw. krankheitsbezogenen Fragen und Herausforderungen konfrontiert, sondern immer öfter auch mit dem Phänomen der krankheitsbezogenen Ungewissheit und damit einhergehend mit Unsicherheiten und Ängsten der Patient_innen. Ein Thema, das mit dem Anstieg der chronischen Erkrankungen für die Pflegepraxis und -forschung daher von größerer Bedeutung sein wird.

Empirisch belegt ist bisher, dass eines der häufigsten psychosozialen Symptome bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung die krankheitsbezogene Ungewissheit ist. Diese stellt einen signifikanten Stressfaktor dar und wirkt sich wiederum negativ auf verschiedene gesundheitliche Endpunkte wie psychologische Anpassung, Lebensqualität und das Selbstmanagement in Bezug auf den Umgang mit der Erkrankung aus. Wie sich die subjektive Bedeutung der Ungewissheit für die Betroffenen jedoch im Laufe der Zeit zur Chance verändert, welche kognitiven Umdeutungen stattfinden und wie diese für die Patient_innen, aber auch für die Gesundheits- und Krankenpflege bedeutsam sind, wurde nun in einer Arbeit von Jasmin Eppel-Meichlinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Allgemeine Gesundheitswissenschaften der Karl Landsteiner Privatuniversität, Fachbereich Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt Person-Centred Care Research, gemeinsam mit Kolleg_innen publiziert.

Der professionellen Pflege kommt demnach eine entscheidende Rolle zu, da sich in mehreren empirischen Arbeiten gezeigt hat, dass sie durch Informationsgabe, Beratung und Beziehungsgestaltung positiven Einfluss darauf nehmen kann, schildert Jasmin Eppel-Meichlinger: „Eine pflegetheoretische Vorarbeit hat die Veränderung dieser subjektiven Bedeutung im zeitlichen Verlauf bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung bereits beschrieben. Um diesen Prozess zu erklären, wurde einst das theoretische Konzept der Selbstorganisation der Chaostheorie herangezogen. Die konkrete Bedeutung der Selbstorganisation für den Kontext der krankheitsbezogenen Ungewissheit, d.h. wodurch sie sich charakterisiert und beeinflusst wird, ging jedoch aus der theoretischen Vorarbeit bisher nicht eindeutig hervor, da das Konzept vage formuliert und daher für die Praxis und Forschung weniger nützlich ist.“Im Rahmen des Dissertationsprojektes wurde daher eine konzeptuelle Analyse durchgeführt, um das theoretische Konzept der Selbstorganisation im Kontext von krankheitsbezogener Ungewissheit bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung zu klären und zu spezifizieren. „Die Erkenntnisse der veröffentlichten Arbeit liefern theoretische Grundlagen und damit wesentliche Hinweise für künftige pflegerische Interventionsentwicklung zur Förderung des Selbstmanagements der Patient_innen. 

Selbstorganisation steht, so Jasmin Eppel-Meichlinger, für eine Transition zwischen psychischer Instabilität und psychischer Anpassung. Sie ist bedingt durch krankheitsbedingte Hindernisse und Ungewissheiten, die als potenziell lebensbedrohlich wahrgenommen werden. „Dieser Anpassungsprozess weist Überschneidungen mit kognitiver Umdeutung auf und wird durch Zeit, Resilienz, soziale Unterstützung und positive Krankheitsentwicklungen gefördert. Sind diese Faktoren gegeben, führt diese Einstellung sehr oft zu Empowerment und einer neuen Perspektive auf das Leben und krankheitsbezogene Ungewissheit.“ 

In einem nächsten Schritt ist nun die Auswertung einer qualitativen Längsschnittstudie geplant, die über ein Jahr gelaufen ist und zu einem vertieften Verständnis für die Entwicklung der krankheitsbezogenen Ungewissheit im chronischen Verlauf beitragen soll. Dadurch sollen wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung einer empirisch überprüfbaren Theorie gewonnen werden, welche grundlegende Informationen für Pflegepersonen in der Praxis und Forschung zur Verfügung stellen soll.

Die Publikation ist im Rahmen des Open Access Abkommens der KL mit dem Verlag Wiley frei zugänglich erschienen.

Originalpublikation:Eppel-Meichlinger, J., Kobleder, A., & Mayer, H. (2022). Developing a theoretical definition of self-organization: A principle-based concept analysis in the context of uncertainty in chronic illness. Nursing forum, 10.1111/nuf.12767. Advance online publication. https://doi.org/10.1111/nuf.12767