Donnerstag, 03. August 2023

Neueste Erkenntnisse zu seltener Erkrankung des Innenohrs

Aufwendige 3D-Analysen des Innenohrs liefern erstmals Erkenntnisse über Volumenveränderungen spezieller Strukturen bei Betroffenen der sogenannten Ménière-Krankheit. Die Ursache dieser seltenen Erkrankung ist bis heute unklar, obwohl sie u.a. zu schwerwiegenden Gleichgewichtsstörungen führt. Eine erfolgreiche Kooperation der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (Krems, Österreich) mit der Harvard Medical School und der Johns Hopkins University (beide USA) liefert nun neue, grundlegende Erkenntnisse zum Erkrankungsgeschehen. So gelangen dem internationalen Team dank aufwendiger 3D-Rekonstruktionen des Innenohrs (auf der Basis anatomischer Schnitte) die erstmalige Messung veränderter Volumina der endolymphatischen Kompartimente bei Betroffenen. Dabei wurde auch ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Dicke der sogenannten Reissnerschen Membran erkannt. Darüber hinaus liefert die Studie Hinweise auf die Funktionsweise einer bislang kaum verstandenen Struktur im Innenohr (Bast‘s Valve).

Übelkeit, Drehschwindel, Tinnitus und Schwerhörigkeit – die sogenannte Ménière-Krankheit kann einen ganz schön aus der Bahn werfen. So selten die Erkrankung ist, so schwierig ist ihre Behandlung. Im Extremfall muss der Gleichgewichtsnerv durchtrennt oder das Gleichgewichtsorgan chirurgisch entfernt werden. Für leichtere Fälle hat sich eine Antibiotika-Behandlung bewährt. Dies konnte das Team der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) bereits vor fünf Jahren bestätigen, ohne allerdings den Wirkmechanismus zu kennen. Der Entstehungsort der Erkrankung ist das Gleichgewichtsorgan im Innenohr, in dem, nach neuesten Erkenntnissen der KL Krems, im Krankheitsfall ein Überdruck entsteht. Die Auswirkung auf bestimmte Bereiche des Innenohrs (endolymphatische Kompartimente) hat sich das Team der KL Krems gemeinsam mit international renommierten Partnern nun im Detail angeschaut – und Überraschendes gefunden.

3D-Innenohr
Wesentliche Teile des Innenohrs sind neben dem Schneckengang (Ductus cochlearis) die als Sacculus und Utriculus bezeichneten höhlenartigen Erweiterungen am äußeren Ende des Schneckengangs. In ihrer jetzt in „Otology & Neurotology“ publizierten Studie verglich das Team um Dr. Béla Büki, Leiter der Ambulanz für Hör- und Gleichgewichtsstörungen am Universitätsklinikum Krems (Lehr- und Forschungsstandort der KL Krems) Innenohren von neun Ménière’-Patientinnen und -Patienten mit denen von zehn gesunden Personen. Dafür wurde auf Basis anatomischer Schnitte digitale 3D-Modelle erstellt. Anhand dieser erfolgte dann die Bestimmung der Volumina der genannten Kompartimente sowie die der Dicke der Reissnerschen Membran. Darüber hinaus wurde der Zustand des sogenannten Bast Ventils (Bast’s Valve) analysiert. 

Zu den Ergebnissen, die gemeinsam mit Kollegen der Harvard Medical School und Johns Hopkins University (beide USA) erzielt wurden, meint Dr. Büki: „Sehr häufig war bei Betroffenen das Volumen des äußeren Schneckengangs als auch des Sacculus erweitert. Das konnten wir in den virtuellen 3D-Modellen eindeutig nachweisen.“ Weiters zeigten die Auswertungen, dass auch das Volumen des Utriculus bei zahlreichen Betroffenen angestiegen war. 

Dick & Dünn
Im Rahmen der detaillierten Analyse konnte das Team in der Folge auch die Dicke der Membranen messen, die die jeweiligen Kompartimente auskleidet. „Die Dicke dieser Membran“, so erläutert Dr. Büki, „bildet einen mechanischen Widerstand gegen den von uns in einer vorherigen Arbeit nachgewiesenen Druckanstieg der als Endolymphe bezeichneten Innenohrflüssigkeiten. Das wiederum wirkt sich auf Volumenveränderungen aus.“ Und tatsächlich passen die Membrandicken bestens zu den analysierten Volumina der Kompartimente: Bei gesunden Personen war die Reissnersche Membran des Utriculus im Vergleich mit der des (äußeren) Schneckengangs sowie die des Sacculus dicker – was bei einem gesteigerten Druck der Endolymphe einer Volumenerweiterung entgegenwirken könnte. Das würde die Beobachtungen erklären, dass der Utriculus weniger häufig erweitert war.

Doch warum war dann dennoch bei einigen Betroffenen eine Volumenerweiterung des Utriculus feststellbar? Auf diese Frage lieferten die Analyse des Bast’s Valve, einer Art Ventil am Eingang zum Utriculus, Antworten. Tatsächlich war in allen untersuchten Fällen von Ménière-Betroffenen, bei denen auch der Utriculus angeschwollen war, das Bast’s Valve offen oder die umgebende Membran rissig. Dies deutet auf eine druckregulierende Funktion des Ventils hin. Eine unschätzbar wichtige Beobachtung, wenn man bedenkt, dass die genaue Funktion dieses Ventils auch fast 100 Jahre nach seiner Entdeckung noch immer ungeklärt ist. 

Insgesamt leistet diese erfolgreiche Kooperation der KL Krems mit der Harvard Medical School und der Johns Hopkins University einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis einer schweren Erkrankung. Damit liegt sie auch voll im Forschungsfokus der KL Krems: dem Schaffen von echten klinischen Fortschritten für Patientinnen und Patienten.

Originalpublikation: Differential Volume Increase of Endolymphatic Compartments in Ménière's Disease Is Inversely Associated With Membrane Thickness. B. Büki, B. K. Ward & F. Santos. Otol Neurotol. 2023 Jul 18.