Donnerstag, 17. November 2022

Altwerden in naher Zukunft

Age-Tech bezeichnet aufkommende und neue Technologien, die Menschen während des Alterns unterstützen und deren Gesundheit fördern sollen. Anwendung basieren auf Künstlicher Intelligenz oder maschinenbasierten Lernsystemen. Univ.-Prof. Dr. Giovanni Rubeis erläutert, warum es essenziell wichtig ist, beim Designprozess von Age-Tech auf Gleichheit zu achten. Reglementierungen allein reichen nicht aus, um Ausgrenzungen und Benachteiligungen durch den Einsatz von Age-Tech zu vermeiden.

Chancen und Risken durch AgeTech

„Age-Tech hat das Potential Ältere zu unterstützen, länger selbstständig zu Hause zu leben, sozial integriert zu bleiben und in besserer Gesundheit zu altern. Gleichzeitig birgt der Einsatz der Technologien das Risiko, ungewollt Gruppen auszugrenzen oder zu benachteiligen. Genau mit diesem ethischen Aspekt beschäftigen wir uns“, erklärt Dr. Giovanni Rubeis vom Fachbereich Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften. „Jede Person und deren sozialer Kontext definiert sich aus verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung, sozialer Status. Diese Faktoren bedingen sich gegenseitig und stehen in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander. Sie beeinflussen in ihrer Summe die Lebenswelt einer Person und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden“.

Training macht den Meister

Künstliche Intelligenz (KI) extrahiert und interpretiert Informationen aus großen Datenmengen. Damit ein Algorithmus funktioniert, müssen Daten und Informationen gruppiert und strukturiert werden. Das Problem liegt im Detail: Durch dieses sogenannte Komplexitätsmanagement werden schwierige Sachverhalte vereinfacht. Eine zu starke Vereinfachung auf dieser Ebene birgt die Gefahr von Ausgrenzung und Benachteiligung bestimmter Personengruppen in sich. Durch den Vereinfachungsprozess gehen möglicherweise relevante Informationen verloren. Die Forderung, soziale Faktoren als Einflussgrößen mit zu berücksichtigen und in den Entscheidungsprozess zu integrieren, minimiert das Risiko der Über-Vereinfachung.

Künstliche Intelligenz wird mit großen Datenmengen „trainiert“. Je besser die Auswahl der Trainingsdaten unter Berücksichtigung von benachteiligten Gruppen erfolgt, desto gerechter die daraus resultierende Anwendung. Bei der Erstellung von KI-basierter Age-Tech ist es daher obligat, sich über die zur Verfügung stehenden Trainingsdaten Gedanken zu machen, den sozialen Kontext der Trainingsdaten zu kennen und sie für Gruppen, die im Trainingssatz unterrepräsentiert sind, zu überarbeiten und mit entsprechenden Datensätzen zu ergänzen. Eine Offenlegung des einer Technologie zugrundliegenden Trainingsdatensatzes würde die Adaptation der Anwendung erlauben. So könnten Technologien, die in entwickelten Ländern designt wurden, für Länder mit geringerem Einkommen angepasst werden.

Komplexität versus Ja-Nein Entscheidungen

Wie Daten interpretiert werden, legen so genannte „basic scripts“ fest. Abstrakte Begriffe wie „Wohlbefinden“ müssen durch einzelne Variablen und Referenzwerte definiert werden. Die „basic scripts“ entscheiden, welche Konsequenzen auf Grund bestimmter Variablenänderungen eintreten. Um stereotype Muster, wie Altern gesehen wird, zu vermeiden, müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ressourcen der vielfältigen und heterogenen Gruppe der „Älteren“ berücksichtig werden. AgeTech zielt auf eine verbesserte individualisierte Medizin und Pflege ab. Ökonomische Aspekte, die mit diesem Ziel konkurrieren, dürfen nicht bevorzugt werden. Das Miteinbeziehen von Interessensverter_innen und relevanten Gruppen hilft, Assistenzsystem für eine bessere Lebensqualität von Anwender_innen zu erstellen. Entwicklungsphasen mit Testanwendungen und Modifikationen sollen im Designprozess dringend vorgesehen werden, um das Feedback von Nutzer_innen einzuholen und einzuarbeiten.

Wer nutzt AgeTech?

„Wer will oder wer kann AgeTech nutzen?“ spiegelt die Frage nach einem gleichberechtigten Zugang zu AgeTech wider. Jene Personen, die den größten zu erwartenden Nutzen von AgeTech hätten, sind unter Umständen am schwersten zu erreichen. Auch hier spielen sozio-ökonomische Faktoren eine zentrale Rolle. Eine generelle Ablehnung neuartiger Technologien, Angst vor oder wenig Wissen im Umgang mit digitalen Anwendungen oder gesundheitliche Einschränkungen wie schlechtes Sehen sind mögliche Hindernisse. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Zielgruppe macht Nutzungsbarrieren sicht- und berücksichtigbar. Selbsterklärende, intuitive Anwendungen mit einer gewissen Fehlertoleranz sind gefordert. Schulungsangebote zu digitalen Gesundheitsanwendungen können Zugangsbarrieren abbauen, widerlegen den Stereotyp, dass Ältere Technologien generell ablehnen, und gestehen Anwender_innen Kompetenz und Lernfähigkeit zu.

Fairness und Gerechtigkeit als immanentes Ziel

KI-basierte AgeTech sind in der Lage, das Leben, die Selbständigkeit, die Gesundheit und das Wohlbefinden älterer Menschen positiv zu beeinflussen. Um die potenzielle Gefahr von Benachteiligung und Ausgrenzung einzelner zu vermeiden, müssen ethische Überlegungen und Grundsätze obligat im Designprozess verankert werden. Gerechtigkeit darf nie als Zusatzoption gesehen werden, sondern muss durch die Anwendung selbst gegeben sein. Um dies zu gewährlisten, braucht es eine umfassende Auseinandersetzung mit der Lebenswelt Älterer und das Miteinbeziehen von Interessensvertreter_innen, Anwender_innen und unterschiedlichen Fachdisziplinen. Der damit einhergehende zeitliche und finanzielle Mehraufwand darf nicht als Ausrede dienen. Fairness und Chancengleichheit muss als Grundprinzip durch politische Strategien und Reglementierungen in Bezug auf AgeTech festgelegt sein.

Originalarbeit

Die Publikation „Equity in AgeTech for Ageing Well in Technology-Driven Places: The Role of Social Determinants in Designing AI-based Assistive Technologies. ” von Giovanni Rubeis, Mei Lan Fang und Andrew Sixsmith ist im Journal “Science and Engineering Ethics” Dank der Open Access Finanzierung der Karl Landsteiner Privatuniversität frei zugänglich erschienen.  doi 10.1007/s11948-022-00397-y