Donnerstag, 30. Juni 2022

4. Europäische Kalziumkanal-Konferenz in Alpbach

Bei der 4. Europäische Kalziumkanal-Konferenz (4th European Calcium Channel Conference) in Alpbach wurden die neuesten Forschungserkenntnisse präsentiert

Über 170 Forscher_innen aus der ganzen Welt fanden sich Ende Mai 2022 auf Einladung von Prof. Gerald Obermair (Karl Landsteiner Privatuniversität) und Kolleg_innen (aus Innsbruck, München und Homburg) im Congress Centrum Alpbach (Tirol) zusammen, um die neuesten Erkenntnisse zur Rolle von Kalziumkanälen in Gesundheit und Krankheit zu diskutieren. Zum Beispiel, wie Kalziumkanäle die „fight-or-flight“ Reaktion, den Herzschlag und die Muskelkraft regulieren, wie ihre Fehlfunktionen zu Autismus, neuropsychiatrischen Erkrankungen, Hormonstörungen oder Bluthochdruck führen aber auch, wie Kalziumkanäle als therapeutische Angriffspunkte gegen diese Krankheiten genutzt werden können.

Bereits in den ersten Physiologie-Vorlesungen lernen Medizinstudierende der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL)die wichtigen Funktionen des allgegenwärtigen Botenstoffs Kalzium kennen. Zum Beispiel werden die Kontraktionen von Herz- und Skelettmuskulatur und die Freisetzung von Hormonen und Neurotransmittern durch Kalzium ermöglicht. Spezielle Poren in den Zellmembranen, sogenannte Kalziumkanäle, regeln dabei, wie viel Kalzium in die Zellen gelangt und regulieren damit eine breite Palette wichtiger Körperfunktionen. Die vielfältigen Funktionen von Kalziumkanälen stellen deshalb einen wesentlichen Forschungsbereich dar, in dem sich Forschungsgruppen in Österreich bereits in den letzten Jahren international mit ihrer Expertise und Forschungsarbeit gut positionieren konnten. Die international einzigartige Plattform der European Calcium Channel Conference nach der langen Covid-Pause wieder für regelmäßigen Austausch zu anzubieten, war daher der nächste schlüssige Schritt.

Gemeinsam mit Kolleg_innen aus Innsbruck und Deutschland (München, Homburg/Saarland) organisierte Prof. Gerald Obermair, Leiter des Fachbereichs Physiologie im Forschungsschwerpunkt „Mental Health & Neuroscience“ an der Karl Landsteiner Privatuniversität daher einen fünftägigen Kongress mit internationalen, hochkarätigen Forscher_innen. Insgesamt fanden in diesen Tagen 14 Symposien mit 90 Vorträgen und zusätzlich 80 Posterpräsentationen statt. „Es freut mich sehr, dass wir einen wirklich spannenden Kongress organisieren durften und dabei auch vielen jungen Forscher_innen (z.B. PhD Studierenden) eine Plattform bieten konnten. Dafür haben wir auch hervorragendes Feedback von den Teilnehmer_innen bekommen. Sehr wichtig und produktiv war auch die Zeit für den informellen Austausch zwischen den vielen internationalen Forscher_innen“, erzählt Gerald Obermair.

Neue Erkenntnisse für die Kardiologie

Einer der Plenarvorträge beschäftigte sich etwa mit Erkenntnissen, wie genau Kalziumkanäle im Herzen die sogenannte „fight-or-flight“-Reaktion regulieren, wie also die Herzaktivität in kürzester Zeit an eine plötzliche Belastung angepasst werden kann. Seit vierzig Jahren wurde vergeblich nach dem Mechanismus gesucht, wie das Adrenalin die Funktion der Kalziumkanäle mittels Phosphorylierung verbessert. Nun konnte die Forschergruppe von Steven O. Marx (Columbia University) zeigen, dass dies über ein assoziiertes Protein mit Namen Rad funktioniert. Eine wesentliche Entdeckung und die Basis für die Entwicklung neuer Medikamente zu Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen.

Weiters widmete sich ein Vortrag den Kalziumkanälen in den Schrittmacherzellen des Herzens und damit der Frage, wie man bestmöglich eingreifen kann, wenn es aufgrund von erworbenen oder genetischen Erkrankungen zu Herzrhythmusstörungen kommt. Prof. Obermair erklärt: „Dafür ist es entscheidend zu wissen, wie die unterschiedlichen Kalziumkanäle zusammenwirken, um die Herzfrequenz vorzugeben und zu regulieren.“ 

Schmerzempfindung und -weiterleitung

Auch das Zusammenwirken zwischen Kalziumkanälen und Schmerzwahrnehmung steht im Fokus aktueller Forschungsarbeiten. So sind bei Schmerz und deren Weiterleitung ins Gehirn mehrere Typen von Kalziumkanälen beteiligt, deren Funktion es zu verstehen gilt, genauso wie die Frage, welche zusätzlichen Signalwege dabei involviert sind. Dazu wurden auch neue therapeutisch relevante Ansätze präsentiert. Zudem beschäftigt man sich aktuell mit der Frage, wie man bestimmte Kalziumkanäle bei chronischen Schmerzerkrankungen blockieren könnte. Gerald Obermair: „Im Plenarvortrag von Thomas Voets (KU Leuven) wurde die Rolle von sogenannten TRP (Transient Receptor Potential) Kanälen beleuchtet. TRP Kanäle fungieren vor allem als Sensoren für chemisch- und hitze-induzierte Schmerzen. Eine Fehlregulierung, zum Beispiel in Folge von Entzündungen, kann zu deren Hyperaktivierung führen und damit können normale Wärme- und Kältereize plötzlich zu starken Schmerzen führen. Der allseits bekannte Sonnenbrand ist ein einfaches Beispiel dafür. Erkenntnisse über deren Funktion können folglich zur Entwicklung neuer Schmerzmedikationen führen.“

Die Rolle von Kalziumkanälen bei Autismus und Diabetes

Forschungsarbeiten ermöglichen auch große Fortschritte im Verstehen von neurologischen Entwicklungsstörungen: So wurden neu entdeckte Mutationen und Defekte vorgestellt, welche zu Überfunktionen von Kalziumkanälen führen und damit Autismus verursachen können. Neben den klassischen elektrisch-aktivierbaren Zellen, also Nerven- und Muskelzellen, regelt das Zusammenwirken von Kalziumkanälen auch die Funktionen von Hormonen, allen voran die Freisetzung von Insulin. Fehlfunktionen von Kalziumkanälen können daher auch zu Diabetes führen. Andererseits könnten Medikamente, die Kalziumkanalfunktionen beeinflussen, auch zur Behandlung von Diabetes eingesetzt werden. Mögliche Funktionen und Ansätze dazu wurden in mehreren Vorträgen vorgestellt.

Von der Struktur zur Funktion und innovativen Forschungstechniken

Das Verstehen der dynamischen molekularen Struktur von Ionenkanälen und wie diese das Öffnen und Schließen der Kanäle steuert, ist von grundlegender Bedeutung für die zukünftige Entwicklung neuer Medikamente. Die neuesten Erkenntnisse dazu wurden in einem „Special lecture“ Symposium mit den Sprecher_innen Nieng Yan (Princeton University), William A. Catterall (University of Washington) und Thomas Jentsch (MDC Berlin) vorgestellt und im Anschluss in einer spannenden Diskussion erörtert.

Weitere Inhalte des Kongresses waren die modernsten technische Entwicklungen zur Erforschung von Kalziumkanälen sowie mathematische Modelle zum Verstehen bzw. zur Simulation von Kanalfunktionen, schildert Prof. Obermair: „Etwa, wie wir Kalziumkanäle färben und mikroskopisch darstellen können, um sie auch in ihren kleinsten Strukturen im Nanometerbereich zeigen und abbilden zu können. Außerdem beschäftigten sich Vorträge mit der Frage, wie Kalziumkanäle durch Gehirnerkrankungen, beispielsweise Epilepsie oder Alzheimer, beeinflusst werden, wie die Krafterzeugung der Skelettmuskeln gesteuert wird, und wie spezielle Kalziumkanäle in Blutgefäßen als Dehnungssensoren mechanische Veränderungen des Blutflusses wahrnehmen können und diese Information an das umliegende Gewebe und die Gefäßmuskulatur weitergegeben wird. All diese Fragen sind zentrale Bereiche der Grundlagenforschung und Basis zum Verstehen derer Funktionen im gesunden und kranken Menschen.“

Die Organisation und erfolgreiche Durchführung dieses international einzigartigen Kongresses wurde durch die langjährigen Förderungen von Exzellenzprogrammen der involvierten Co-Organisator_innen, durch den österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften in Deutschland) sowie nicht zuletzt durch die Unterstützung der Karl Landsteiner Privatuniversität ermöglicht. 

KongressseiteFachbereich an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften