Dienstag, 05. Juli 2022

Spielerisch soziales Lernen fördern und Peer-to-Peer-Beratung

D.O.T.-Forschungsgruppe entwickelte analoge und digitale Maßnahmen zur Förderung psychischer Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Wie können Kinder in schwierigen Lebenssituationen in ihrer persönlichen Entwicklung und in ihrem sozialen Umfeld unterstützt werden? Dieser zentralen Frage der psychischen Gesundheitsvorsorge widmete sich die internationale und interdisziplinäre Forschungsgruppe im Rahmen des Projekts „D.O.T. – Die offene Tür“. Bei der Online-Abschlusskonferenz an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL) Ende Juni 2022 wurden nun die Höhepunkte von vier Jahren Forschungsarbeit präsentiert.

Gute Integration in die Gruppe bzw. Schulklasse federt Belastungen ab, mildert Stress, hebt den Selbstwert und hat viele weitere positive Wirkungen auf die emotionale Entwicklung. Fehlende soziale Verbundenheit kann sich entsprechend negativ auswirken. Besonders um die Zeit des Schulwechsels kann die Beziehung zu zentralen Vertrauenspersonen verloren gehen. Es ist Anstrengung nötig, um sich in der neuen Klasse wieder gut sozial zu integrieren. Manchen Kindern fällt das leicht, andere werden zu Außenseitern oder sogar zur Zielscheibe von Mobbing. Aus diesem Grund erarbeitete die Forschungsgruppe „D.O.T. – Die offene Tür“ unter der Leitung von Beate Schrank, Psychiaterin und leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Tulln der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL), in den letzten vier Jahren (2018-2021) Maßnahmen zur Förderung wichtiger sozialer Kompetenzen bei Kindern – unter anderem zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen im Schulbereich. In einem partizipativen Prozess mit Vertreter_innen aus Schulen, Patient_innenorganisationen, Kliniken, Therapie- und Beratungszentren und dem Land Niederösterreich entstanden daraus analoge ebenso wie digitale und interaktive Tools, sowie zwei große Folgeprojekte. Die Forschungsgruppe, die sich im Zuge der Open-Innovation-in-Science-Initiative der Ludwig Boltzmann Gesellschaft etabliert hat, war an der Karl Landsteiner Privatuniversität als koordinierende Institution angesiedelt. Bei einer Abschlusskonferenz Ende Juni 2022 wurden die entwickelten Maßnahmen präsentiert.

 


Die Erfolgsbilanz in Zahlen 

Das Gesamtvolumen für die Projektlaufzeit betrug drei Millionen Euro, die von der Österreichischen Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft gefördert wurden. Über 1500 Kinder und Jugendliche sowie sieben Wien-Extra Schulen waren in die Forschungsarbeiten aktiv involviert, ebenso wie hunderte erwachsene Stakeholder und Netzwerkpartner_innen. Das Projekt nahm dreimal erfolgreich am Citicen science award teil und konnte nicht nur über 20 Papers in renommierten Journalen unterbringen, sondern auch zahlreiche Konferenzbeiträge liefern. Neben vielen neuen Interventionskomponenten und theoretischen Modellen ist bereits ein EU-Folgeprojekt zum beruflichen Wohlbefinden von Lehrpersonen entstanden.

Adventure Game “SCAN – School Can be A Nightmare”

Das entwickelte digitale Single-Player Serious Game dient dem Training von interpersoneller Emotionsregulation und Stärkung sozialer Fähigkeiten. In drei Spielsequenzen wird das Verhalten im Gruppensetting und der Umgang mit unterschiedlichen Charakteren trainiert. Die Spieler_innen schlüpfen in die Rolle eins/einer Schüler_in, welche/r aufgrund einer Krankheit einen Tag in der Schule gefehlt hatre. Als er/sie am nächsten Tag wieder die Schule besucht, verhalten sich alle Mitschüler_innen und Erwachsenen auffallend unfreundlich. Teile des Inventars sind zerstört, es findet kein Unterricht statt und für all das gibt es keine Erklärung. Die Aufgabe der Spieler_innen besteht darin, herauszufinden, warum sich alle so verändert haben und Verbündete zu finden, mit dem Ziel gemeinsam den alten Zustand der Schule zu wieder herzustellen.

Lernprogramm – Ich & Wir und die kleinen Monster

Das analoge Lernprogramm “Ich & Wir und die kleinen Monster” dient der Stärkung sozialer Beziehungen in der Schule und ist gemeinsam mit dem Bildungsministerium und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich für den Einsatz im Schulunterricht entwickelt worden. In verschiedenen Modulen erarbeiteten die Lehrkörper gemeinsam mit den Schüler_innen Inhalte zu Themen wie Selbstwirksamkeit, Empathie, Konfliktlösung, Mobbing oder soziales Bewusstsein. Mit der Externalisierung verschiedener Gefühle in Form von kleinen Monstern, konnten Konfliktlösestrategien und Beispiele für Klassenregeln erarbeiten werden. Die Klassen konnten sich aber auch auf neue Weise mit ihrem Emotions-Vokabular auseinandersetzen, um Gefühle besser zu kanalisieren und zu benennen. Das entwickelte Lernprogramm hatte einen deutlichen Einfluss auf die Verbesserung der Freundschaften und des Wohlbefindens in den Schulklassen.

Weiteres wurden im Rahmen der Forschungsgruppe D.O.T. für Lehrer_innen Skripten, Arbeitsblätter, Spielanleitungen und interaktive Geschichten mit Reflexionsübungen für acht Schuleinheiten (4 Doppeleinheiten) zur Selbstkompetenz, Klassengemeinschaft, Freundschaft und Mobbing entwickelt. Diese können unabhängig von der Lehrkraft eingesetzt werden, um das soziale Lernen und ein gutes Miteinander in der Klasse zu fördern.

Open2Chat - Online-Chat-Plattform von Jugendlichen für Jugendliche

Das niederschwellige, anonyme und kostenlose Peer-to-Peer-Angebot ist in Form einer Online-Plattform aufgebaut, welche Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich mit psychosozial geschulten Gleichaltrigen über ihre Probleme, Sorgen und Ängste auszutauschen. Unter dem Namen „Open2chat” wurde die Plattform Ende 2021 von der Caritas St. Pölten übernommen und in ihren Routine-Beratungsbetrieb integriert. Das Projekt wird weiterhin von einem Forschungsteam der KL und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Da adäquate Angebote für Jugendliche schwer erreichbar, unbekannt oder oft gar nicht vorhanden sind, wirkt Open2chat einer akuten Versorgungslücke entgegen. Das Angebot wird explizit nicht als Ersatz für eine professionelle Psychotherapie oder Beratung verstanden, öffnet aber den Weg und das Vertrauen, sich unterstützen zu lassen.

Neues Forschungszentrum für Transitionspsychiatrie in Tulln

80 Prozent aller psychischen Erkrankungen treten das erste Mal in der Jugendzeit auf. Für Betroffene besteht jedoch oftmals eine Versorgungslücke, da weder die Angebote der Kinderpsychiatrie noch die der Erwachsenpsychiatrie adäquat oder attraktiv erscheinen. Die Transitionspsychiatrie fokussiert gezielt auf jene Betroffenen zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. Sie versteht sich als gemeinsamer Bereich von Kinder-/Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie, der Jugendlichen ein stabiles Setting bietet, um die Entwicklungsaufgaben des Erwachsenwerdens zu bewältigen. In der klassischen Versorgungsstruktur werden diese Entwicklungsaufgaben durch den Wechsel zwischen Kinder/Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie mit dem 18. Geburtstag oft jäh unterbrochen, was sich nachteilig auf den weiteren Krankheitsverlauf auswirkt. Mit Förderung des Landes Niederösterreich entsteht nun am Universitätsklinikum Tulln erstmals in Österreich ein eigenes Forschungszentrum zu diesem Bereich – mit der Zielsetzung, im klinischen Kontext spezifische wissenschaftliche Arbeit in der Transitionspsychiatrie zu betreiben.

Einen Einblick in den klinischen Versorgungsalltag von Menschen in der Adoleszenz boten die beiden KeyNote-Sprecher_innen: Kinder- und Jugendpsychiaterin Susanne Pitnik erzählte von der Situation in die Tagesklinik der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Landesklinikum Baden-Mödling. Erwachsenenpsychiater Josef Hinterhölzl berichtete von seinen Erfahrungen aus der Universitätsklinik für Psychiatrie II in Innsbruck. Als erste klinische Einrichtung Österreichs bietet das Haus eine gezielte ambulante Betreuung von jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Transition zum Erwachsensein.

 PressekontaktEva-Maria GruberKommunikation, PR & MarketingKarl Landsteiner Privatuniversität für GesundheitswissenschaftenDr.-Karl-Dorrek-Straße 30, 3500 KremsTel.: +43 (0) 2732 72090-230Mobil: +43 (664) 505 62 11E-Mail: evamaria.gruber@kl.ac.atWeb: www.kl.ac.at

 

Inhaltlicher Kontakt

OÄ Priv.-Doz. Dr. Beate Schrank, MSc, PhDLeiterin der Forschungsgruppe "D.O.T. – Die offene Tür"E-Mail: beate.schrank@kl.ac.atWeb: www.dot.lbg.ac.at