Freitag, 21. Oktober 2022

Intelligente Selbstbeherrschung

In einer aktuellen Studie wurde untersucht, welchen Einfluss Intelligenz und Selbstbeherrschung auf ein erfolgreiches Leben haben können.

Jeder Mensch steht irgendwann vor Entscheidungen, die Einfluss darauf haben, welche Belohnungen oder Optionen in der Zukunft verfügbar sind. Die kognitive Fähigkeit, auf unmittelbare Belohnungen zu verzichten, um auf bessere Möglichkeiten zu warten, wird als Selbstkontrolle bezeichnet. Diese Fähigkeit ist nicht nur bei Menschen relevant. Bei Rabenvögeln wie dem Eichelhäher besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, Belohnungen aufzuschieben und ihrer allgemeinen Intelligenz. Dies konnte eine aktuelle Studie, die in Zusammenarbeit mit der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften durchgeführt wurde, untermauern. Projektleiter Dr. Markus Böckle forscht am Forschungszentrum für Transitionspsychiatrie an der KL unter anderem an der Förderung von Selbstwirksamkeit und Emotionsregulation, aber auch an evolutionären Ursachen für die Entwicklung von Intelligenz. Er nennt dafür drei Gründe: „Es gibt einerseits den selektiven Druck, Dinge funktional zu verstehen sowie zeitlich einzuordnen, wodurch technische Intelligenz entstehen könnte. Andererseits soziale Gründe, beispielsweise komplexe soziale Interaktionen zu verstehen und zu planen, wodurch soziale Intelligenz evolutionär entstanden sein könnte. Die dritte Hypothese für die Entwicklung von Intelligenz unterliegt dem Druck, einem Fressfeind auszuweichen.“

Intelligent zu sein, heißt aber nicht notwendigerweise, erfolgreich zu sein - bei Menschen zum Beispiel im beruflichen und privaten Leben, so der Kognitionsbiologe, Wissenschaftler und Psychotherapeut. „Wir haben uns daher auch mit der Frage beschäftigt, ob Intelligenz unabhängig von der Fähigkeit, auf zeitlich verzögerte Belohnung zu warten, entstehen kann. Oder ob es einen evolutionären Zusammenhang zwischen allgemeiner Intelligenz und der Fähigkeit gibt, impulsive Handlungen zu unterdrücken. Aus diesem Grund haben wir das Verhalten und die Reaktion von Tieren untersucht, um daraus Rückschlüsse auf den Menschen und seine Kognitionen ziehen zu können.“

Der Zusammenhang zwischen Selbstbeherrschung und Intelligenz ist also nicht nur auf den Menschen beschränkt. Forschungen an Tieren haben eine ähnliche Beziehung nachgewiesen, unter anderem bei Tintenfischen, wie Markus Böckle bereits mit seinen Kolleg_innen nachweisen konnte. Um diesen Zusammenhang auch bei Vögeln zu beforschen, haben die Wissenschaftler_innen zehn Eichelhähern, ein Singvogel aus der Familie der Rabenvögel, vor die Aufgabe gestellt, ein zeitverzögertes und bevorzugtes anstelle eines sofortigen und weniger belohnenden Ergebnisses zu wählen. Die Eichelhäher waren in der Lage, auf bessere Möglichkeiten zu warten, während die maximale Wartezeit von Individuum zu Individuum variierte. „Außerdem stellten wir ihnen fünf weitere kognitive Aufgaben, die das räumliche Gedächtnis, räumliche Beziehungen und die Lernfähigkeit bewerteten. Diese werden üblicherweise als Maß für die allgemeine Intelligenz verwendet. Die Leistung bei diesen Aufgaben hat signifikant mit der Fähigkeit der Eichelhäher korreliert, auf bessere Möglichkeiten zu warten.“

Die Studienergebnisse deuten stark darauf hin, dass Selbstbeherrschung ein grundlegendes Merkmal von Intelligenz sein kann. Die Notwendigkeit, unmittelbare Befriedigung zu verhindern, um zukünftige Mahlzeiten zu planen, könnte die Evolution von Intelligenz vorangetrieben haben, fasst Markus Böckle zusammen. „Die Untersuchung individueller Unterschiede in der Selbstkontrolle innerhalb und zwischen den Arten könnte uns helfen, ein besseres Verständnis für neue Aspekte von Kognitionsmustern und deren Entstehung zu bekommen.“ Gerade am Department für Psychologie sei es wichtig, in diesen Bereichen zu forschen, um langfristig neue Erkenntnisse in die beraterische, klinische und therapeutische Praxis zu implementieren. „Etwa bei Kriseninterventionen oder im Rahmen einer längerfristigen Psychotherapie: Wenn Klient_innen lernen, durch Selbstkontrolle zielorientiert zu handeln, könnte der erfolgreiche Ausgang einer potenziell schmerzhaften psychotherapeutischen Behandlung erhöht werden.“

Dieser Artikel ist Teil des Themenhefts "Thinking about possibilities: mechanisms, ontogeny, functions and phylogeny".

Direkter Link zur Studie: Waiting for a better possibility: delay of gratification in corvids and its relationship to other cognitive capacities | Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences (royalsocietypublishing.org)