Kognitive Umdeutung krankheitsbezogener Ungewissheit im chronischen Krankheitsverlauf
Kognitive Umdeutung krankheitsbezogener Ungewissheit wurde in der kürzlich publizierten Arbeit von Jasmin Eppel-Meichlinger et al. als wesentlicher Teil der Selbstorganisation von Menschen mit einer chronischen Erkrankung identifiziert.
Eines der häufigsten psychosozialen Symptome bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung ist krankheitsbezogene Ungewissheit, die einen signifikanten psychologischen Stressfaktor darstellt und sich negativ auf verschiedene gesundheitliche Endpunkte wie psychologische Anpassung, Lebensqualität und das krankheitsbezogene Selbstmanagement auswirken kann. Krankheitsbezogener Ungewissheit wird von Betroffenen in der akuten Krankheitsphase in der Regeln eine negative Bedeutung zugeschrieben und kann folgend mit verstärkten Symptomen, emotionalem Distress, dem Gefühl des Kontrollverlusts und reduzierter Lebensqualität einhergehen.
Der professionellen Pflege kommt im Kontext von krankheitsbezogener Ungewissheit eine entscheidende Rolle zu, da sich in mehreren empirischen Arbeiten gezeigt hat, dass sie durch Informationsgabe, Beratung und Beziehungsgestaltung positiven Einfluss darauf nehmen kann.
Eine pflegetheoretische Vorarbeit hat die Veränderung dieser subjektiven Bedeutung im zeitlichen Verlauf bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung bereits beschrieben. Demnach entwickelt sich die Bedeutung von Ungewissheit als eine Gefahr im akuten Krankheitsstadium zu einer Chance im chronischen Krankheitsverlauf. Um diesen Prozess zu erklären, wurde einst das theoretische Konzept der Selbstorganisation der Chaostheorie herangezogen. Was die Selbstorganisation bedingt, wie sie sich vollzieht und wodurch sie beeinflusst wird, geht jedoch aus dem theoretischen Vorwissen bisher nicht eindeutig hervor, da das theoretische Konstrukt von Selbstorganisation bei krankheitsbezogener Ungewissheit vage formuliert und daher für die Praxis und Forschung weniger nützlich ist.
Im Rahmen eines Dissertationsprojektes wurde daher eine konzeptuelle Analyse durchgeführt, um den theoretischen Begriff der Selbstorganisation im Kontext von krankheitsbezogener Ungewissheit bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung zu spezifizieren.
Selbstorganisation steht für eine Transition zwischen psychischer Instabilität und psychischer Anpassung. Sie ist bedingt durch krankheitsbedingte Hindernisse und Ungewissheiten, die als lebensbedrohlich wahrgenommen werden. Dieser Anpassungsprozess weist Überschneidungen mit kognitiver Umdeutung auf und wird durch Zeit, Resilienz, soziale Unterstützung und positive Krankheitsentwicklungen gefördert. Sie führt zu Empowerment und einer neuen Perspektive auf das Leben und krankheitsbezogene Ungewissheit.
Die Erkenntnisse der veröffentlichten Arbeit liefern wesentliche Hinweise für zukünftige pflegerische Interventionsentwicklung zur Förderung des Selbstmanagements und der psychologischen Anpassung von Menschen mit einer chronischen Erkrankung. Die Publikation ist im Rahmen des Open Access Abkommens der KL mit dem Verlag Wiley frei zugänglich erschienen.
Originalpublikation:
Eppel-Meichlinger, J., Kobleder, A., & Mayer, H. (2022). Developing a theoretical definition of self-organization: A principle-based concept analysis in the context of uncertainty in chronic illness. Nursing forum, 10.1111/nuf.12767. Advance online publication. https://doi.org/10.1111/nuf.12767