Verbindungen zwischen Lebensmitteln und psychischen Erkrankungen
In einem kürzlich erschienenen Konzeptartikel des Uniklinikums Tulln wurden unter der Leitung von Prim. Assoc. Prof. PD. Dr. Martin Aigner, Abteilungsleiter für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, mögliche Verbindungen zwischen Serotonin, Mykotoxinen und psychischen Erkrankungen, insbesondere Psychosen diskutiert.
Dabei wird auch aufgezeigt, wie das Serotoninsystem mit der Umwelt und dem menschlichen Stoffwechsel interagiert und in weiterer Folge zur Stressbewältigung beitragen kann.
Pilze können Mykotoxine – ein Sammelbegriff für verschiedene giftige Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen – produzieren, die für andere Organismen toxisch sein können, indem sie etwa die Bluthirnschranke passieren und Stoffwechselvorgänge stören. Dabei beeinflussen sie das Serotoninsystem, das wiederum eine wichtige Rolle für die Immunabwehr und die psychische Gesundheit bei Menschen spielt. Eine zentrale Rolle kommt hier dem sogenannten Tryptophanstoffwechsel zu: Tryptophan (Trp) ist eine essenzielle Aminosäure, die zu Serotonin und Melatonin umgewandelt wird – zentrale Transmittersysteme des Menschen. „Stress und Mykotoxine wirken sich auf den Stoffwechsel aus und können das Serotoninsystem beeinflussen, was das Risiko für Stimmungs- und Angststörungen erhöht. Chronischer Stress kann dabei die Verfügbarkeit von Serotonin verringern, was kognitive Einschränkungen begünstigen kann. Die genaue Wirkung von Mykotoxinen auf den Serotoninspiegel ist jedoch ein komplexes und noch nicht vollständig erforschtes Thema“, führt Dr. Martin Aigner aus.
Am meisten von Mykotoxinen betroffen sind Ölsaaten, Getreide und Getreideprodukte, Gewürze sowie gewisse Trockenfrüchte. Menschen sind hauptsächlich durch den Befall verschimmelter Lebensmittel bedroht, betont der Mediziner. „Gerade wenn Menschen psychisch krank sind, etwa bei Schizophrenien, starken Depressionen oder Demenzerkrankungen kann es passieren, dass sich Patientinnen und Patienten nicht mehr gut um hygienische Aspekte im Alltag kümmern können. Da werden Lebensmittel dann nicht mehr im Kühlschrank verstaut, sondern bleiben tagelang stehen, bis sie eventuell Schimmel ansetzen und trotzdem gegessen werden, wie etwa Müsli mit Milch“. In der Klinik haben sich Prof. Aigner und seine Kolleginnen und Kollegen daher Gedanken über mögliche Auswirkungen schadhafter Lebensmittel auf die menschliche Psyche gemacht. In einer ersten Studie werden unter anderem Harnuntersuchungen und Befragungen durchgeführt.
Die Forschungsfrage lautet: Welche Auswirkungen können enge Verbindungen von Mykotoxinen und Stresszuständen auf verschiedenen Ebenen – von der molekularen Interaktion bis hin zum Einfluss auf das soziale Verhalten des Wirtes – haben? Die Literatur zeigt, dass Mykotoxine wie Aflatoxine und Ochratoxine oxidativen Stress und Entzündungen fördern, was die kognitive Leistung beeinträchtigen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen durch Blut-Hirn-Schrankenstörungen erhöhen könnte. „Eine stressreduzierende Lebensweise, gesunde Ernährung und eine saubere Wohnumgebung sind daher essenziell, um die potenziellen Effekte von Mykotoxinen zu minimieren und psychische Stabilität zu fördern“, so der Mediziner.
Der Darm – wichtige Verbindung zur Psyche
Der überwiegende Serotoningehalt des menschlichen Körpers befindet sich im Darm, da 95 Prozent des Serotonins in den Zellen der Darmschleimhaut produziert werden. „Das freigesetzte Serotonin wird von Thrombozyten aufgenommen und zu verschiedenen Organen transportiert. Nur etwa zwei Prozent des Serotonins befindet sich tatsächlich im Zentralnervensystem. Es wird außerdem angenommen, dass Serotonin die Blut-Hirn-Schranke nicht frei passieren kann und daher die Serotoninkonzentration im Gehirn getrennt von der Menge des im Blut vorliegenden Botenstoffs zu betrachten ist“.
Durch Akkumulation von Mykotoxinen, beispielsweise durch nicht fachgerecht gelagerte oder zubereitete Nahrung, Kontaminationen von Drogen oder Schimmel im Wohnraum könnten daher schwerwiegende Veränderungen des Serotonin- und Melatoninsystems zu kognitiver Beeinträchtigung bis hin zu akuten Psychosen führen. „Bei chronischen Erkrankungen ist auch eine Verschlechterung auf physiologischer, psychischer und sozialer Ebene vorstellbar. Stress verstärkt diese Effekte, da die Immunabwehr geschwächt und die Produktion von Neurotransmittern und Hormonen gestört werden, welche wiederum zur Regulation von Stimmung und kognitiven Funktionen notwendig sind“, schildert Prof. Martin Aigner.
Fazit für die Praxis
Durch die Aufklärung der komplexen Regulation und der vielfältigen Rollen des Trp-Stoffwechsels und der Trp-Metaboliten kann möglicherweise ein Beitrag zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung geleistet werden, so der Mediziner. „Hier gibt es natürlich auch Potential für die Entwicklung von klinischen Interventionen“. Der Möglichkeit der Mykotoxinbelastung von illegalen Drogen wird zurzeit viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sollte im Sinne präventiver klinischer Lösungen mehr in den Fokus forschungsrelevanter Studien rücken, so der Mediziner abschließend.