Mittwoch, 05. März 2025

Patient:innenzentrierte Onkologie statt Übertherapie für Menschen mit fortgeschrittener Krebserkrankung

Um Überbehandlung in der Palliative Care zu vermeiden, braucht es ein Umdenken in der Onkologie: Weniger Fokus auf Therapien, mehr auf die Lebensqualität der Menschen, auch in Bezug auf realistisch nachweisbare Erfolge. 

Eine aktuelle Studie untersuchte die Faktoren, warum Übertherapie so weit verbreitet ist und gibt Empfehlungen für neue Wege, palliativmedizinische Angebote sowie End-Of-Life-Gespräche (EOL) frühzeitig anzubinden. Priv. Doz. Dr. Gudrun Kreye, MBA, Oberärztin und Organisatorische Leiterin der Palliativmedizin am Universitätsklinikum Krems, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, ist eine der Studienautor:innen und gibt Ein- und Ausblicke.

Viele Patient:innen mit Krebs, die sich dem Lebensende nähern, erhalten weiterhin Behandlungen, die wahrscheinlich keinen nennenswerten klinischen Nutzen bieten und möglicherweise die Situation sogar verschlechtern können. Dies wird als sogenannte Überbehandlung bzw. Übertherapie bezeichnet. Sie schadet den Patient:innen, indem sie Nebenwirkungen verursacht, wichtige Diskussionen über und die Vorbereitung auf die EOL-Versorgung verzögert und gelegentlich den Tod beschleunigt. Eine Überbehandlung kann außerdem die Ressourcen des Gesundheitswesens belasten, wenn Therapien verabreicht werden, für die es kaum Evidenz gibt. Eine internationale Literaturarbeit unter der Leitung von Professor Nathan Cherny hat Faktoren untersucht, die zur Überbehandlung von Krebspatient:innen mit fortgeschrittener Grunderkrankung beitragen. Zudem zeigt dieser Übersichtsartikel Möglichkeiten und Wege auf, der Überbehandlung entgegenzuwirken, schildert Gudrun Kreye. „Wir haben uns mit der komplexen Bandbreite sozialer, psychologischer und medizinischer Faktoren, die Onkolog:innen, Patient:innen und deren Familienmitglieder beeinflussen befasst und hoffen, zu diesem Phänomen wertvolles beitragen zu können.“ Da es sich menschlich und medizinisch um eine komplexe Dynamik handelt, ist es eine besondere Herausforderung, Überbehandlung künftig weitgehend zu reduzieren, so die Ärztin weiter. „Eine Zusammenarbeit aller im System beteiligten ist hier eine zentrale Voraussetzung, um sich dem Thema nachhaltig widmen zu können“.

Hintergründe für Übertherapie
Wie aber kommt es zu vielfach praktizierten Überbehandlung, welche Faktoren spielen hier eine Rolle? „Es gibt viele Aspekte. Einerseits zeigen Studien oft, dass neue Medikamente wirken. Man weiß zu dem Zeitpunkt aber noch recht wenig über mögliche Neben- oder Wechselwirkungen“, erklärt Gudrun Kreye. Auch psychologische Faktoren spielen eine sehr große Rolle. „Patient:innen mit fortgeschrittener Krebserkrankung haben Angst vor dem Tod und dem Sterben, es gibt Druck von allen Seiten, natürlich auch von den Angehörigen, die Therapie fortzuführen. Es fällt den behandelnden Ärzt:innen oft leichter, noch eine Therapie anzubieten als zu erklären, dass eine weitere onkologische Therapie nicht mehr zielführend ist.“ In diesem Zusammenhang ist es für die Expertin auch zentral, das sogenannte „End-Of-Life“-Gespräch (Gespräche über das Lebensende) im Blick zu behalten und dieses lieber früher als später anzusetzen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für die Patient:innen ganz wichtig ist, vorzeitig über Ängste und die bestmögliche medizinische Begleitung zu sprechen, etwa bei Schmerzen oder der Angst, zu ersticken. Hier können viele Sorgen genommen werden, die in diesem Ausnahmezustand dann keine zusätzliche Belastung mehr sind.“ Nicht selten spielen auch kulturelle Einflüsse eine Rolle für Überbehandlung. Etwa beiPatient:innen und deren Angehörigen, bei denen der Tod in diesem Kontext als „Aufgeben“ oder „Versagen“ erlebt wird. „Das ist natürlich auch für uns Ärzt:innen eine heikle und sensible Angelegenheit. Ich erinnere mich an einen Patienten, der zu mir sagte ‘da sterbe ich lieber an der Therapie, als am Krebs‘.“
 

Patient:innenzentrierter Ansatz notwendig
Von Übertherapie- bzw. Überbehandlung in der  Onkologie kann unter anderem dann gesprochen werden, wenn gewisse Kriterien erfüllt werden, die gegen eine weitere Behandlung sprechen würden. Dazu zählt etwa  ein sehr schlechter Allgemeinzustand oder das Nicht-Ansprechen auf vorangegangene Therapien. Hier gibt es einen spezifischen medizinischen Kriterienkatalog von ASCO, der amerikanischen Gesellschaft für medizinische Onkologie, schildert Gudrun Kreye. „Ziel ist jedenfalls ein patient:innenzentrierter Ansatz, der die Lebensqualität in den Vordergrund stellt, die Autonomie der Patient:innen in dieser kritischen Phase ihres Lebens respektiert und die Ergebnisse erzielt, die für sie am wichtigsten sind.“ In einigen Fällen entscheiden sich Patient:innen oftmals dennoch für eine Antitumortherapie. Falls medizinisch indiziert, kann dies als "Therapieversuch" verabreicht werden, mit einer zeitlich begrenzten Vereinbarung, die Therapie im Falle einer Schädigung oder eines mangelnden Nutzens nach einem vereinbarten Zeitraum abzubrechen. Die Hauptverantwortung zur Entscheidung einer Therapie bei fortgeschrittener Krebserkrankung liegt aber bei den behandelnden Ärzt:innen, so Kreye.

Empfehlungen und Forderungen
Weitere Forschung auf verschiedenen Ebenen wäre laut Gudrun Kreye notwendig, etwa bei der Verfeinerung von Prognoseinstrumenten, um die Genauigkeit bei der Vorhersage der Lebenserwartung am EOL zu verbessern. Auch in der Ausbildung gehört sehr viel adaptiert, insbesondere in Bezug auf Kommunikation. „In der Ausbildung zum Facharzt/Fachärztin für Hämatoonkologie müsste es verpflichtend sein, mindestens sechs Monate in einem Palliativteam zu arbeiten. Und es braucht fundiertes Wissen bei der Entwicklung optimaler Kommunikationsstrategien, die Patient:innen und Angehörige in die Lage versetzen, wiederum fundierte Entscheidungen über die EOL-Versorgung unter Berücksichtigung kultureller und religiöser Überzeugungen zu treffen.“ Auf gesundheitspolitischer Ebene braucht es außerdem eine Reform der Finanzierungen, um Anreize für eine bessere Versorgung am Lebensende zu schaffen. „Dies kann langfristig nur durch eine Zusammenarbeit von Onkolog:innen, Palliativmediziner:innen, Forscher:innen und natürlich den Verantwortlichen im Gesundheitssystem erreicht werden. Damit könnten wir sicherstellen, dass Patient:innen mit fortgeschrittenem Krebs eine Versorgung erhalten, die sowohl patient:innenzentriert als auch evidenzbasiert ist und es ihnen ermöglicht, am Ende des Lebens keinen Schaden durch Übertherapie mehr zu erleiden.“