Freitag, 02. Mai 2025

Darstellung autistischer Charaktere in TV-Serien: Realität oder Fiktion?

Am Forschungszentrum für Transitionspsychiatrie an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften widmen sich die Forschenden unter anderem dem Schwerpunktthema Medien und Videospiele: Im Rahmen einer Studie wurden die mediale Darstellung mentaler Gesundheit sowie die potenzielle Stigmatisierung von Autismus untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden tendenziell Serien bevorzugen, in denen Charaktere mit Hoch- oder Spezialbegabungen dargestellt werden – im Vergleich zu realistischeren Repräsentationen von Autismus.

In den letzten Jahren ist ein deutlicher Anstieg der Darstellung autistischer Charaktere bzw. Menschen mit autistischen Symptomen in Mainstream-Serien zu beobachten. Während die Forschung eine realistischere Darstellung fordert, ist bislang wenig über die Einstellungen der Zuschauer:innen zu dieser Thematik bekannt. „Wir haben daher mithilfe eines Online-Fragebogens Daten von 348 jungen Erwachsenen zu deren Medienkonsum in Bezug auf 15 verschiedene Serien mit autistischen Charakteren ausgewertet. Zusätzlich wurde eine Emotionserkennungs-Aufgabe (ERT) durchgeführt. Der Schwerpunkt der Untersuchung lag auf der Erkennung von Emotionen durch Mimik und Gesichtszüge“, schildert Mag. Dr. Verena Steiner-Hofbauer, Leiterin des Forschungszentrums für Transitionspsychiatrie an der KL und Studienautorin.

Die im Zuge einer Studie zum Medienkonsum und Selbstdiagnose von Autismus gewonnenen Daten wurden in einer Sekundärdatenanalyse ausgewertet. Ziel der Sekundärdatenanalyse war es, mögliche Zusammenhänge zwischen dem Mediennutzungsverhalten und individuellen Persönlichkeitsmerkmalen zu untersuchen. „Da es sich um eine explorative Untersuchung handelt, haben wir bewusst keine konkreten Hypothesen formuliert“, erklärt Verena Steiner-Hofbauer. Stattdessen richtete sich der Fokus auf zwei zentrale Forschungsfragen: Wie gestaltet sich das Konsumverhalten im Hinblick auf Medieninhalte, in denen autistische Charaktere vorkommen, innerhalb der Allgemeinbevölkerung? Und: Lassen sich Zusammenhänge zwischen dem Konsum solcher Inhalte und bestimmten Merkmalen der dargestellten Figuren – etwa Geschlecht oder das Vorhandensein von Savantfähigkeiten – sowie Eigenschaften der Rezipient:innen wie Geschlecht oder autistischen Tendenzen feststellen?

Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden tendenziell Serien bevorzugen, in denen Charaktere mit Hoch- oder Spezialbegabungen dargestellt werden – im Vergleich zu realistischeren Repräsentationen von Autismus. Interessanterweise zeigte sich weiters, dass Personen, die bei der Emotionserkennungs-Aufgabe niedrigere Werte erzielten, signifikant häufiger dazu tendierten, Formate zu konsumieren, die auf eine realistischere oder dokumentarische Darstellung von Autismus setzen und in denen außergewöhnliche Begabungen weniger stark im Vordergrund stehen. Stigmatisierende Inhalte könnten, so legen die Ergebnisse nahe, durch die Vorlieben der Zuschauer:innen beeinflusst sein. 
 

Kommerzielle Unterhaltung versus Realität
Die Studie zeigt zudem, dass Serien mit realistischer Darstellung – etwa „The Bridge“– häufiger von Personen mit niedrigen ERT-Werten konsumiert werden. Für Menschen im Autismus-Spektrum ist es besonders bedeutsam, Charaktere im Fernsehen zu erleben, mit denen sie sich identifizieren und eine Verbindung aufbauen können. Realistische Darstellungen von Menschen mit Autismus könnten dazu beitragen, in der breiten Öffentlichkeit ein entstigmatisierendes Bewusstsein zu fördern und durch Interesse mehr Verständnis zu schaffen.

Gleichzeitig ist die stark kommerzialisierte Medienlandschaft auf Einschaltquoten und Publikumserfolg angewiesen, wie die Wissenschaftlerin betont: „Die Unterhaltungsindustrie muss Charaktere entwickeln, die ein möglichst breites Publikum ansprechen. Das kann jedoch zu einem Spannungsfeld führen – zwischen der authentischen, fachlich fundierten Repräsentation von Autismus und den Erwartungen eines breiten Publikums“. Für zukünftige Forschung bedeutet dies, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Einstellungen zu psychischen Erkrankungen und der medialen Darstellung weiter zu beleuchten. Das gelte, so die Expertin, auch für Videospiele, die ein vielfältiges und breites Publikum erreichen. Im Jahr 2024 nutzten rund 1,13 Milliarden Menschen Online-Games – im Durchschnitt bis zu 12,39 Stunden pro Woche. „In einer weiteren Studie konnten wir allerdings keinen Zusammenhang zwischen der Spieldauer, der Anzahl gespielter Titel und stigmatisierenden Haltungen gegenüber psychischen Erkrankungen feststellen.“

Originalpublikationen:

Wie kommerzielle Videospiele mit Darstellungen psychischer Erkrankungen mit Stigmatisierung zusammenhängen: Eine explorative Studie - Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften

Bzw.: How commercial video games portraying mental illness are connected to stigma: An exploratory study - ScienceDirect

Einstellungen gegenüber autistischen Charakteren in Mainstream-Serien und Verbindungen zu den eigenen Persönlichkeitseigenschaften der Zuschauer: Eine explorative Studie - Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften

TV Series in Mainstream Media Depicting Autism and Self-Diagnosis of Autism in a General Population of Young Adults | Journal of Autism and Developmental Disorders