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COVID-19: Prävention und Umgang in Primärversorgungspraxen

Thromboseprophylaxe

COVID-19 und Thrombosen: Was tun in der hausärztlichen Versorgung? 

Wichtiges in Kürze

Bei COVID-19 besteht ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien. Für hospitalisierte Patient_innen ist eine positive Beeinflussung der Komplikationshäufigkeit bekannt. Die frühzeitige Prophylaxe mit NMH ist jedoch nicht generell empfohlen. Für nicht-hospitalisierte Covid-19 Personen kann eine NMH-Prophylaxe nach individueller Nutzen-Risiken-Abschätzung erwogen werden:

  • Immobilisierung im Rahmen der COVID-19 Erkrankung (zB. Bettlägrigkeit durch Fieber)
  • angeborene oder bestehende Blutgerinnungsstörungen 
  • Vorgeschichte einer venösen Thromboembolie
  • aktive Krebserkrankung, rezentes (< 1Mo) Trauma oder Operation?
  • Fortsetzung einer Thromboseprophylaxe nach KH - Entlassung (bis zur vollständigen Mobilisierung bzw längstens 4 Wochen): bei Vorliegen von  Risikofaktoren wie für nicht-hospitalisierte Patienten beschrieben
  • Immer: Prüfung möglicher Kontraindikationen, vorhandener Medikation (vorsichtige Abwägung bei ASS-Dauertherapie - ggf. PPI-Prophylaxe!) bzw. erhöhtes Blutungsrisiko

COVID-19 und Thrombosen: Was tun in der hausärztlichen Versorgung? (Textversion)

weitere möglicherweise relevante Faktoren: Covid-19 assoziierte Risikofaktoren

  • Alter > 60? Übergewicht? (BMI > 30)
  • DM II, Immunsuppression, Chronische NINS mit GFR < 30
  • chronische Herz- oder Lungenerkrankungen

Hintergrund und Pathomechanismus

Je länger die SARS-CoV-2-Pandemie andauert und je mehr Menschen weltweit an COVID-19 erkranken und versterben, desto deutlicher wird es, dass das SARS-CoV-2 nicht nur eine ernst zu nehmende Infektion verschiedener Organsysteme auslösen kann, sondern oftmals auch zu schwerwiegenden Veränderungen im Gerinnungssystem der Betroffenen führen kann (Connors and Levy 2020, Fogarty, Townsend et al. 2020, Lax, Skok et al. 2020, Marietta, Coluccio et al. 2020).

In der Zwischenzeit sind zwar schon eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert worden, welche das klinische Outcome sowie das Überleben der COVID-19 Erkrankung beeinflussen, jedoch bleibt die Einschätzung des klinischen Verlaufs bei jedem einzelnen Individuum weiterhin ungewiss (Lax, Skok et al. 2020, Wolf, Serper et al. 2020, Wu, Chen et al. 2020, Zhou, Yu et al. 2020). Die Zahl der sich entwickelnden Symptome ist jedoch möglicher Prädiktor einer Hospitalisierung (PrimeRisk, Rabady, Hoffmann et al. 2021).

Eine Publikation aus Österreich aus dem Jahr 2020 zeigte, dass bei allen COVID-19 Verstorbenen, welche im Rahmen der Studie obduziert wurden, Thrombosen in den kleinen und mittel-lumigen Lungenarterien zu finden waren. Alle Patient_innen hatten im Krankenhaus eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) erhalten. Periphere Thrombosen waren in diesen Fällen keine zu finden (Lax, Skok et al. 2020).

Es wird angenommen, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 eine Inflammation mit Endothelschädigung und Aktivierung des Gerinnungssystems lokal im Lungenkreisreislauf führt. In einer Studie aus Italien gaben die  Autor_innen diesem häufigen Phänomen sogar den Namen PIC (Pulmonary Intravascular Coagulopathy) in  Abgrenzung mit dem von anderen schweren Infektionen ausgelösten DIC (Disseminated Intravascular Coagulopathy) (Fogarty, Townsend et al. 2020). 
Über eine eventuelle Behandlung mit NMH bereits im häuslichen Setting sind nach wie vor keine Zahlen vorhanden, ebenso wenig dazu, ob die thrombo- embolischen Ereignisse bereits vor der Hospitalisierung entstanden waren.

Andere Studien fanden eine Häufung von venösen oder arteriellen Thrombosen der Extremitäten mit resultierenden Lungenembolien oder Schlaganfällen als Folge der SARS-CoV-2 Infektion (Klok, Kruip et al. 2020, Levi, Thachil et al. 2020, Tang, Bai et al. 2020, Thachil, Tang et al. 2020). Dies könnte auch eine der Ursachen dafür sein, dass immer wieder Personen mit eigentlich milden Symptomen, welche zu Hause in Heimquarantäne oder -isolation die Erkrankung auskurieren sollen, plötzlich zuhause versterben. Darüber hinaus könnte      dieser Faktor auch mitverantwortlich sein für die unterschiedlichen Sterberaten von unterschiedlichen ethnischen Gruppen; Chines_innen haben grundsätzlich ein eher niedrigeres Thromboserisiko als Kaukasier_innen, Afro-Amerikaner_innen ein deutlich höheres (Fogarty, Townsend et al. 2020). Eine Fallstudie beschreibt das Auftreten von tiefen Venenthrombosen und daraus resultierenden Lungenembolien noch bis zu einer Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus (Poggiali, Bastoni et al. 2020).
 
Das SARS-Cov-2-Virus verursacht direkt und indirekt eine Aktivierung der Blutgerinnungsfaktoren und führt somit zu einem hyperkoagulatischen Status. Die Faktoren für das individuelle Risiko einer solchen Aktivierung sind zum Teil jedoch noch unbekannt. Ein Zusammenspiel mit Immobilisation, Gefäßschädigung und Entzündungen führt jedenfalls zu einem deutlich erhöhten Risiko für thromb-embolische Ereignisse. (Klok, den Exter et al. 2020, Klok, Kruip et al. 2020, Levi, Thachil et al. 2020). Ay et al. konnten in einem systematic review zeigen, dass PatientInnen, die zwar stationär, aber nicht auf einer Intensivstation betreut werden müssen, ein Risiko von fünf bis elf Prozent haben ein thrombo-embolisches Ereignis zu erleiden, demgegenüber erleiden zwischen 18 und 28 Prozent der COVID-19-PatientInnen mit sehr schwerem Verlauf eine Beinvenenthrombose oder Lungenembolie (Nopp et al. 2020).

Nach wie vor liegen keine evidenzbasierten Behandlungsempfehlungen für die NMH-Prophylaxe im hausärztlichen Setting (milde und moderate Krankheitsverläufe) vor, Studien gaben jedoch Hinweise darauf, dass die Gabe von unfraktioniertem sowie NMH bei schweren COVID-19 Verlaufsformen die Mortalität in Bezug auf die COVID-19 bedingte Koagulopathie senken könnten (Levi, Thachil et al. 2020, Marietta, Coluccio et al. 2020, Tang, Bai et al. 2020, Thachil, Tang et al. 2020). Speziell Heparin ist vielversprechend, weil es zusätzlich zur antikoagulatischen Eigenschaft auch anti-inflammatorische und anti-virale Eigenschaften aufweist (Levi, Thachil et al. 2020, Mycroft-West, Devlin et al. 2020).
Blutungsereignisse dagegen sind bei COVID-19 bisher sehr selten beobachtet worden (Fogarty, Townsend et al. 2020, Levi, Thachil et al. 2020). International gehen daher auch die Empfehlungen für eine NMH- Prophylaxe bei moderater Erkrankung OHNE weitere Risikofaktoren auseinander, bei schwerer Erkrankung hingegen hat sich die Therapie mit z.B. NMH in prophylaktischer Dosierung (Enoxaparin 40 mg oder Dalteparin 5000 IU 1x täglich) etabliert.

 

Konsequenz für die hausärztliche Versorgung?

Zuerst soll an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass derzeit angenommen wird, dass ca. 20-40 % aller SARS-CoV-2 Infizierten niemals Symptome zeigen (Byambasuren, Cardona et al. 2020, Streeck, Schulte et al. 2020). Die weiteren 60-80% teilen sich wiederum in ca. 80-90% auf, die nur relativ milde bis moderate Symptome zeigen (auch in diesen Fällen kann in bis zu 10% Long-COVID auftreten), wobei hier auch eine gerade noch nicht Sauerstoff-pflichtige virale Pneumonie als moderat  verstanden wird, und 10-20%, die schwere Symptome zeigen und eine intensivere, im Krankenhaus/ICU stattfindende Therapie brauchen. Es wurde beobachtet, dass die meisten der Personen, welche schwere Symptome zeigen, diese erst ca. 6-14 Tagen nach Symptombeginn entwickeln und somit anfänglich auch zur Personengruppe mit milden Symptomen gehören.

Interessant für die hausärztliche Primärversorgung sind also die infizierten Personen, die mit in den meisten Fällen zu anfangs „milden“ COVID-19 Symptomen zuhause in Isolation oder Quarantäne sind.

In Bezug auf die Diagnostik in der hausärztlichen Versorgung heißt dies, dass bei der Betreuung von Personen mit COVID-19 in der häuslichen Isolation oder Quarantäne bzw. mit COVID-19 Verdacht folgende Punkte immer zusätzlich zu den bereits bekannten wichtigen Risikofaktoren und Symptomen erhoben und berücksichtigt werden sollten:

  • Angeborene oder bestehende Blutgerinnungsstörungen
  • Einnahme von Blutgerinnungs-hemmenden Medikamenten
  • Vorgeschichte einer TVT oder PVE
  • Evaluierung von Symptomen einer Venenthrombose/Pulmonalembolie bzw. Wells-Score Erhebung
  • Kontraindikationen, die gegen eine Applikation von NMH sprechen

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Hausärzt_innen aller Patient_innen mit bestätigter oder vermuteter Erkrankung an Covid-19 informiert werden, sodass die nötige Betreuung, Überwachung und Behandlung erfolgen kann!

Therapieempfehlung

In Bezug auf die Therapie von mild oder moderat COVID-19 Erkrankten zuhause: Die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung und internationale Fachgesellschaften empfehlen eine Prophylaxe mit NMH bei Vorliegen entsprechender Risikofaktoren (individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung) und wenn keine Kontraindikationen bestehen (siehe oben). 

Empfehlung:

  • Bei allen Patient_innen mit gesicherter SARS-CoV-2 Infektion sollte die Indikation zur medikamentösen VTE-Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) sorgfältig evaluiert werden.
  • Die Dosierung sollte in einem für den Hochrisikobereich zugelassenen Bereich erfolgen (NMH in prophylaktischer Dosierung 1x täglich).
  • Bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren (z.B. BMI >30 kg/m², Z. n. VTE, aktive Krebserkrankung) sollte unter Berücksichtigung von Nierenfunktion und Blutungsrisiko eine intensivierte Thromboseprophylaxe erwogen werden (z.B. NMH in halbtherapeutischer Dosierung 1 x täglich oder NMH in prophylaktischer Dosierung 2 x täglich).
  • Bei Kontraindikationen für eine Antikoagulation sollten physikalische Maßnahmen (z.B. Kompressionsstrümpfe) zur Anwendung kommen.
  • Eine therapeutisch dosierte Antikoagulation sollte nur bei einer gesicherten Thrombo-embolie  oder einer ECMO-Behandlung erfolgen.


Weitere Prophylaxe nach Krankenhausentlassung: Weiterführen der Antikoagulation mit NMH für 14 Tage in Einzelfällen zu evaluieren.

Eine Behandlung mit Antikoagulantien, die Patient_innen schon vor der COVID-Erkrankung hatten, sollte weitergeführt werden. Eine Umstellung von anderen Antikoagulantien auf ein NMH allein aufgrund von COVID-19 ist NICHT notwendig.

 

Metadaten:
Autor_innen:
Hoffmann Kathryn 1 , Rabady Susanne 2 , Ay Cihan 3 , Knöbl Paul 3 , Pabinger Ingrid 3  
Erstversion: 29.06.2020
Aktuelle pdf - Version 20.04.2021 
Update: 22.12.2021, Wendler

1 Zentrum für Public Health, Med. Universität Wien, Leiterin der Unit: Versorgungsforschung und Telemedizin in der Primärversorgung
2 Kompetenzzentrum für Allgemein- und Familienmedizin, Karl-Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften Krems 
3 Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Med. Universität Wien

Literaturverzeichnis/Referenzen

Gesamte Literatur und Quellen finden Sie im Text-Dokument des jeweilig aktuellen Updates:
COVID-19 und Thrombosen: Was tun in der hausärztlichen Versorgung? (Textversion) 

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