Chronisches Erschöpfungssyndrom im Rahmen von Post-Covid
Autor:
Dr. Michael Stingl 1
Review:
Dr. Susanne Rabady 2
Zusatzkapitel sind nicht Teil der Leitlinie S1, sondern bieten Zusatzinformationen. Sie geben daher die Erfahrungen und Einschätzungen der jeweiligen als Autoren angeführten Experten wieder.
Die Thematik wird nunmehr verstärkt wahrgenommen und beforscht – bekannt ist das Phänomen als mögliche Folge einer Reihe von Virusinfektion aber schon seit langem.
Dennoch sind gesicherte Erkenntnisse weiterhin rar, belastbare Evidenz aus Studien hinsichtlich Management und Therapie ist nicht vorhanden. Siehe dazu auch die Leitlinienkapitel „Fatigue“ Differentialdiagnostik (Kapitel 10.1 ) und Behandlung (Kapitel 12)
Dieser Artikel beruht auf der derzeit zugänglichen Studienlage sowie auf Erfahrungen des Autors mit Patient_innen, bei denen im Rahmen der Abklärung keine Organschäden festgestellt werden konnten. Empfehlungen, die hier abgegeben werden, beruhen auf diesen Kenntnissen und Erfahrungen, und haben daher eine subjektive Komponente. Trotz hoher Unsicherheit benötigen die Betroffenen Hilfe, Entscheidungen müssen auf den jeweils verfügbaren Grundlagen getroffen und können nicht auf die Generierung von zusätzlichem Wissen warten. Wie immer, sind die Patient_innen sorgfältig auch darüber aufzuklären, die Entscheidungsfindung ist wie immer partizipativ.
Charakteristika:
Die Betroffenen sind oft jünger und weiblich[1] und ähneln klinisch jenem Bild, das man von Myalgischer Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS, ICD-10 G93.3) kennt.
Diese Patient_innen berichten typischerweise von einer deutlichen Verschlechterung des Zustandes nach kognitiver und körperlicher Aktivität, einer sogenannten Post Exertional Malaise (PEM). Diese ist als typisch für ME/CFS bekannt, und kommt in dieser Form bei anderen Formen der Fatigue normalerweise nicht vor.
Zusätzlich berichten diese Patient_innen von orthostatischen Symptomen, Schwindel, Schmerzen, kognitiver Beeinträchtigung („Brain Fog“, oft im Sinne einer gesteigerten kognitiven Ermüdbarkeit zu interpretieren) und vielen anderen Symptomen[2],[3].
Diese Symptome sollten möglichst sorgfältig erfragt werden, um den sinnvollen Untersuchungsgang und resultierenden therapeutischen Ansatz wählen zu können. Die beschriebene genauere Abklärung sollte erst nach Ausschluss anderer Symptomursachen erfolgen, und wenn die übliche Besserung nach etwa 12 Wochen ausbleibt, oder die Beschwerden ungewöhnlich ausgeprägt sind (Ausnahme: Schellong Test). Für alle anderen Situationen: s. Leitlinienkapitel „postinfektiöse Müdigkeit“.
Weiteres unter Diagnostik, Behandlung, Pacing
1: Dr. Michael Stingl
Facharzt für Neurologie
neurostingl.at
2: Dr. Susanne Rabady
Department für Allg. Gesundheitsstudien,
Kompetenzzentrum für Allgemein und Familienmedizin (Leitung)
Erstellungsdatum: 30.06.2022
Diagnostik
s. dazu auch Zusatzkapitel „Autonome Dysfunktion “
1 Anamnese
Hören Sie Ihren Patient_innen zu. Wenn berichtet wird, dass seit dem Infekt körperliche oder kognitive Aktivität den Zustand verschlechtert (es fällt oft der Satz "ich will, aber ich kann nicht") ist eine primär psychiatrische Diagnose in meiner Erfahrung mit ME/CFS sehr unwahrscheinlich. Bei diesen Patient_innen kam es durch entsprechende psychiatrische medikamentöse Therapie oder nicht-medikamentöse andere Therapien (z.B Lungenreha, psychosomatische Reha) oft zu einer Verschlechterung.
Wenn eine psychosoziale Komponente besteht, sollte diese natürlich behandelt werden (s. dazu Zusatz „Psychosoziale Aspekte“). Erfahrungsgemäß bringt eine Therapie einer angenommenen psychiatrischen Grundursache bei Long Covid aber bezüglich der körperlichen Symptome keine wesentliche Besserung.
2. Untersuchungen
2.1 Orthostatische Dysregulation:
Kann mittels Schellong-Test oder einen NASA Lean Test[4] eingeschätzt werden. Diese Tests können die Patient_innen zu Hause selber machen – die Ergebnisse der Selbstdurchführung korrelieren gut mit Ergebnissen im Kipptisch.
Positiv ist auch, dass der Stress des Arztbesuches bzw. der Anfahrtsweg wegfallen und somit Herzfrequenz und Blutdruck nicht dadurch beeinflusst werden. Ein positiver Ausfall gibt klare Hinweise auf Dysautonomie, z.B. orthostatische Hypotonie und posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS)[5],[6]. Zur Behandlung s. 3.1
2.2 Mastzellenaktivierungssyndrom
Achten Sie auf Zeichen von Mastzellenaktivierungssyndrom (MCAS)[7]. Klinisch auffällig sind hier oft neu aufgetretene Probleme mit der Verdauung, Verschlechterung des Zustandes bei Stress/Temperaturextremen/Aktivität, neue schlechte Verträglichkeit von Alkohol, Flush, plötzliche unerklärliche Panikattacken, dazu aber auch viele andere Symptome[8].
Marker wie Histamin oder Tryptase werden gelegentlich bestimmt, diese sind aber meist unauffällig und kaum je diagnostisch hilfreich, sie werden daher für den primärversorgenden Bereich nicht empfohlen. Sollte aus einem anderen Grund (!) eine Gastroskopie oder Coloskopie gemacht werden, kann eine Färbung auf Mastzellen erfolgen (CD117).
2.3 Kognitive Dysfunktion
Probleme der Kognition sind bei Long Covid häufig. Diffus wird dies oft als Brain Fog bezeichnet und umfasst Einschränkungen bei Konzentration, Aufmerksamkeit, Wortfindung, Kurzzeitgedächtnis. Wesentliches Problem aus klinischer Sicht ist eine gesteigerte kognitive Ermüdbarkeit.
Die Ursache ist unklar. Bemerkenswert ist, dass Brain Fog auch bei POTS ein wesentliches Merkmal ist[9] und auch im Kontext von MCAS vorkommt (s. dazu auch Zusatzkapitel „Autonome Dysfunktion “) Auch eine Neuroinflammation scheint eine Möglichkeit. Generell scheinen die Probleme bei Long Covid reversibel[10].
2.4 Immunologische Überlegungen
Wenn weitere Hinweise auf eine Immunopathie (auffällig gehäufte auch ungewöhnliche Infektionskrankheiten) vorliegen – und nur dann! – kann eine immunologische Abklärung erfolgen. Sie sollte im spezialisierten Bereich erfolgen, die Indikation ist kritisch zu stellen. Immundefekte finden sich bei ME/CFS immer wieder[11],[12], ein MBL-Mangel wurde auch bei Long Covid in 22% der Fälle beschrieben[13].
Behandlung
Der wesentlichste Ansatz, das so genannte Pacing, wird in einem gesonderten Kapitel beschrieben (Kapitel 12.2)
Nicht medikamentösen Maßnahmen sollte der Vorzug gegeben werden, sie werden im Folgenden beschrieben.
Spezifische medikamentöse Behandlungsansätze sollen erst nach Ausschluss anderer Symptomursachen erwogen werden, und wenn die übliche Besserung nach etwa 12 Wochen ausbleibt, oder die Beschwerden ungewöhnlich ausgeprägt sind. Für alle anderen Situationen: s. Leitlinienkapitel „postinfektiöse Müdigkeit“.
Grund: Medikamentöse Ansätze sind unzureichend abgesichert. Für die Anwendung in der Primärversorgung sind sie daher nicht gut geeignet. Eine Kostenübernahme durch die Kassen in den genannten Indikation ist derzeit aufgrund der fehlenden Evidenz nicht vorgesehen. Kontraindikationen und Nebenwirkungen sind sorgfältig zu beobachten.
1. Orthostatische Dysregulation
Hier machen oft folgende nicht-medikamentöse Maßnahmen Sinn:
1) Ausreichende Trinkmenge (mind. 3l/Tag) mit regelmäßiger Flüssigkeitszufuhr, insbesondere ausreichende Trinkmenge vor dem ersten morgendlichen Aufrichten (bis 500ml plus Salz, dann 10 Minuten warten)[14].
2) Ausreichende Salzzufuhr, ca. 8g/Tag[15]. Rezept für eine Elektrolytlösung zum Trinken, über den Tag verteilt, vor allem am Vormittag[16]: 1l Wasser (für Geschmack z.B. Tee, Dicksaft,...), 3,5g Natriumchlorid, 2,5g Kaliumchlorid, 2,9g Tri-Natriumzitrat, 20g Glucose. Alternativ ist auch 250ml Fruchtsaft, verdünnt auf 1l, mit 2-3g Kochsalz, möglich.
3) Langsames Aufstehen.
4) Kräftigen der Wadenmuskulatur.
5) Verwenden von Stützstrümpfen (müssen bis zum Oberschenkel gehen) bzw. Kompressionshosen[17].
6) Bei Hitze kalte Fußbäder.
7) Verzicht auf Alkohol, wenig Kaffee.
8) Mehrere kleine Mahlzeiten.
9) Hochlagern der Beine bei kognitiver Aktivität.
Medikamentöse Optionen werden gelegentlich eingesetzt[18],[19]. Dies ist oft Trial and Error, Kontraindikationen, Effekt und Verträglichkeit müssen beachtet werden. Für keinen der genannten Ansätze ist bisher belastbare Evidenz aus Studien verfügbar .Der Einsatz sollte dem spezialisierten Bereich vorbehalten bleiben, sie sind nicht erstattungsfähig. Die Medikationen werden zur Information an dieser Stelle dennoch beschrieben.
a) Mestinon (Literaturlink Raj SR et al. Acetylcholinesterase inhibition improves tachycardia in postural tachycardia syndrome. Circulation 2005; 111:2734). Ca. 40% der Patient_innen vertragen die Medikation nicht, bei Nebenwirkungen wieder absetzen. Mögliche Nebenwirkungen sind z.B. Durchfall, verstärkter Speichelfluß, verstärktes Schwitzen, Faszikulationen.
b) Ivabradin, das im Gegensatz zu Betablockern spezifisch auf die Herzfrequenz wirkt (Literaturlink Tahir F et al. Ivabradine in Postural Orthostatic Tachycardia Syndrome: A Review of the Literature. Cureus 2020; 12:e7868). Regelmäßiges Messen von Puls und Blutdruck, bei Herzfrequenz regelmäßig unter 50 muss die weitere Einnahme überdacht werden. Nächtliche Einnahme nur bei nächtlicher Tachykardie.
3) Fludrocortison, ein Mineralkortikoid, das die Flüssigkeitsausscheidung reguliert. Eine Woche nach Beginn und eine Woche nach Änderung der Dosis müssen die Elektrolyte kontrolliert werden. Mögliche Nebenwirkungen sind z.B. Kopfschmerzen, Ödeme, Hypertension, Depression. Die Einnahme kann prinzipiell auch punktuell erfolgen, wenn längeres Stehen/Gehen notwendig ist.
4) Midodrin, ein selektiver Alpha-1-Agonist, der den Blutdruck im Stehen steigert (Literaturlink Low PA et al. Efficacy of midodrine vs placebo in neurogenic orthostatic hypotension. A randomized, double-blind multicenter study. Midodrine Study Group. JAMA 1997; 277:1046). Eine relevante Nebenwirkung kann ein Anstieg des Blutdrucks im Liegen sein, die Einnahme sollte daher in zeitlichem Abstand (3-4 Stunde) zu längerem Liegen erfolgen. Es kann auch zu z.B. Problemen mit der Miktion und Kribbelparästhesien kommen.
5) Catapresan bei hyperadrenergen Schüben (Kaltschweißigkeit, Tremor, Ängstlichkeit). Mögliche Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, niedriger Blutdruck, depressive Verstimmung oder Schlafprobleme. Eine Einnahme bei AV-Block, Depression oder Raynaud-Syndrom darf nicht erfolgen.
2. Mastzellaktivierungssyndrom
Generell zeigt ein Versuch mit Antihistaminika oft einen Effekt[20].
Ein Therapieversuch (Literaturlink Molderings GJ et al. Pharmacological treatment options for mast cell activation disease. Naunyn Schmiedebergs Arch Pharmacol 2016; 389: 671) kann gemacht werden, und kann eine diagnostische Hilfe sein– auch hier handelt es sich um Erfahrungswissen: Vitamin C 500mg 1-0-1, Zink 30mg 0-0-1, Quercetin, eventuell Daosin zu den Mahlzeiten. Montelukast wird bei Atemproblemen gelegentlich versucht.
Zusätzlich gibt es noch folgende medikamentöse Möglichkeiten zur Mastzellstabilisierung: Cromoglizinsäure (200 mg 1-1-1), Alphaliponsäure (Beginn mit 200mg 1-0-1, weitere Steigerung alle 14 Tage je nach Wirkung/Verträglichkeit, maximal 600mg 1-0-1/Tag).
Auf eine histaminarme Ernährung sollte geachtet werden[21]. Wenn sich nach 2-3 Wochen keine deutliche Verbesserung ergibt, kann diese Therapie wieder beendet werden, wobei auf eine damit verbundene Verschlechterung geachtet werden sollte.
3. Kognitive Dysfunktion
Die Therapie orientiert sich an der Behandlung von POTS und MCAS, wo kognitive Probleme häufig vorkommen, bzw. auch bei angenommener Neuroinflammation mit dem Einsatz von Low Dose Naltrexon.
Einigen Berichten zufolge kann auch Fluvoxamin[22] über eine Reduktion der Inflammation einen Effekt haben. Erfahrungsgemäß kommt es oft zu therapielimitierenden Nebenwirkungen wie innerer Anspannung. Auf zahlreiche medikamentöse Wechselwirkungen muss geachtet werden, auch auf die verstärkte Wirkung von Koffein.
4. Akute Verschlechterung
Bei einer akuten, deutlichen Verschlechterung des Zustandes (Crash), insbesondere dann, wenn auch der Schlaf schlechter wird (viele Patient_innen berichten, dass bei Überanstrengung trotz massiver Erschöpfung der Schlaf schlechter möglich ist), kann ein kurzfristiger Einsatz von Benzodiazepinen, z.B. Temesta, sinnvoll sein. (cave: Abhängigkeitsentwicklung!!)
5. Weitere Behandlungsansätze
Cortison und Nahrungsergänzungsmittel
Für Cortison zeigt sich bei ME/CFS kein Effekt. Eine Stoß-Therapie, z.B. mit Dexamethason 0,5mg 3xtgl für 2 Tage, 2xtgl für 2 Tage, 1xtgl für 2 Tage, wird gelegentlich versucht, anhaltende Verbesserungen treten meist nicht auf. Eine Gabe von Cortison ist aus meiner Sicht bei möglicher Viruspersistenz ohne verfügbares Virostatikum zurückhaltend zu sehen.
Es gibt keinen Beleg für die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln. Eigene Erfahrungen liefern keine Hinweise auf eine Wirksamkeit.
5. Therapieversuche, die pragmatisch von ME/CFS abgeleitet werden
Therapieversuche, die sich aus der Behandlung von ME/CFS ableiten, können überlegt werden. Hierzu zählen Low Dose Naltrexon (LDN)[23],[24] bzw. Low Dose Aripiprazol (LDA)[25].
Nachdem gelegentlich Schlafprobleme auftreten, kann in diesem Fall die Einnahme auch in der Früh erfolgen. Gelegentlich kann es zu Problemen mit der Verdauung kommen, die Verträglichkeit ist im Normalfall aber gut.
LDN hat einen modulierenden Effekt auf Mikroglia[26]. Neuroinflammation mit Aktivierung der Mikroglia wurde bei Long Covid beschrieben[27],[28].
LDA wirkt erfahrungsgemäß vor allem auf kognitive Symptome und die Reizempfindlichkeit.
6. Weitere diskutierte Ansätze
Diese sind Gegenstand der Forschung, die folgenden Ausführungen dienen der Information über mögliche Entwicklungen und sind keine Behandlungsempfehlungen.
6.1 Autoantikörper
Inwieweit die von ME/CFS bzw. auch POTS bekannten Autoantikörper gegen cholinerge und muskarinerge Rezeptoren[29],[30] eine Rolle spielen, wird sich zeigen. Eine erste Studie konnte hier Hinweise bringen[31].
In meiner Erfahrung mit ME/CFS kann bei positivem Nachweis eine Therapie mit i.v. Immunglobulinen hilfreich sein. Der Effekt muss natürlich kritisch beurteilt werden. Für POTS wurde über den Effekt einer immunmodulierenden Therapie berichtet[32].
Die Relevanz dieser Autoantikörper zeigt sich auch in den berichteten Effekten von BC007, einem Aptamer, das diese Antikörper entfernen kann[33]. Hier sind die Ergebnisse der geplanten Studie abzuwarten, BC007 ist nicht verfügbar.
6.2 Small Fiber Neuropathie
Gleiches gilt für den Nachweis einer Small Fiber Neuropathie (SFN), die bei ME/CFS oft eine der Grundlagen für die autonome Dysfunktion ist[34]. Die Small Fiber Neuropathie wurde in Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektion[35] bzw. auch Long Covid[36],[37] bereits beschrieben.
Klinische Hinweise, wie distal reduziertes Temperaturempfinden, Kreislaufregulationsprobleme, Sicca-Symptomatik, Miktionsprobleme, Veränderungen des Schwitzens, eingeschränkte Temperaturregulation finden sich bei Long Covid ebenfalls häufig.
Auch bei autoimmuner Small Fiber Neuropathie gibt es Versuche mit IvIg[38],[39]. Studien waren hier oft negativ, wobei oft, z.B. bei einer zuletzt publizierten, die Verabreichungsdauer sehr kurz (2 Monate) war[40]. IvIg „reparieren“ ja die Small Fibers nicht, sie sollen nur die Schädigung verhindern und damit eine Regeneration ermöglichen.
Durch die oft späte Diagnosestellung könnte eventuell eine längere Gabe notwendig sein, um einen Effekt zu sehen, im Gegensatz zu beispielsweise Guillain Barré Syndrom, das ja klinisch/elektrophysiologisch sehr schnell entdeckt wird.
6.3 Endotheliale Dysfunktion
Eine Schädigung des Endothels durch SARS-CoV-2 ist bekannt. Es kann hier zu mikrothrombotischen Komplikationen kommen[41],[42]. Dieser Mechanismus könnte auch für Probleme bei Long Covid schuldhaft sein. Interessant ist, dass eine Beeinflussung von Fractalkin (CX3CL1) hypothetisch einen Effekt haben könnte[43]. Der Einsatz von Statinen reduziert Fractalkin[44].
Eine niedrig dosierte Plättchenaggregationshemmung[45], z.B. mit TASS 50-100mg 0-1-0, in Kombination mit einem Statin, z.B. Atorvastatin 10mg 0-0-1, gegebenenfalls mit weiterer Steigerung (ich habe bei 40mg oft sehr gute Effekte gesehen, wenn 10-20mg nicht ausreichen).
Bei ME/CFS wurde eine endotheliale Dysfunktion mit oxidativem Stress beschrieben[46]. Fenofibrat könnte den oxidativen Stress am Endothel reduzieren[47]. Aufgrund dieser Überlegungen wird Fenofibrat manchmal alternativ zu Statinen versucht, wenn damit Nebenwirkungen auftreten oder kein Effekt zu erzielen ist.
7. Pacing
Mehr dazu: Zusatz Pacing, Leitlinienkapitel 12.2
Der wesentlichste Punkt der Behandlung von Long Covid ist das Pacing, also Aktivität in dem Rahmen, wo keine Verschlechterung des Zustandes auftritt[50],[51].
Dies ist nicht intuitiv, da ja bei den meisten Erkrankungen Trainingstherapie hilft – hier hat sie aber den gegenteiligen Effekt. In meiner Erfahrung mit ME/CFS hat Überaktivität in der Frühphase der Erkrankung dann zur Chronifizierung geführt.
Für Pacing gibt es zahlreiche gute Tipps[52]. Wichtig ist das Erkennen der eigenen Grenzen, um ein Überschreiten zu vermeiden.
Hier kann das Verwenden einer Pulsuhr hilfreich sein. Anhaltspunkt ist ein Wert von 60% der anaeroben Schwelle (also 60% von 220 minus Lebensalter), dies sollte bei normaler Alltagsaktivität nicht überschritten werden. Wenn der Puls zu deutlich ansteigt, ist eine Pause notwendig.
Ziel aller Maßnahmen ist eine Stabilisierung und dann eine langsame Besserung der Symptome. Generell ist die Prognose bei postviraler Fatigue gut, wenn auch die Rekonvaleszenz mehrere Monate dauern kann[53]. Eine Chronifizierung zu ME/CFS muss unbedingt vermieden werden.
Pacing
Pacing ist ein personenzentriertes Verfahren, das Patient:innen ermöglichen kann, ihre körperliche, kognitive und emotionale Energie innerhalb individueller Grenzen zu steuern, durch sorgfältige Planung, wo und wie die verfügbare Energie eingesetzt werden kann. Es ist ein Instrument, um eine post-exertionale Erschöpfung zu verhindern und/oder zu reduzieren. Aktivitätsprotokolle sowie Herzfrequenz- und Aktivitätsmonitore können verwendet werden, um den Patient:innen zu verdeutlichen, wann sie ihre spezifischen Energiegrenzen überschreiten. Trotz solcher Hilfsmittel ist das Pacing eine anspruchsvolle Aufgabe und Rückschläge sind unvermeidlich, zumal die Toleranzgrenze für Aktivität interindividuell und auch intraindividuell von Tag zu Tag variieren kann.
Dies gilt auch für alle Bereiche: körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit, emotionale und mentale Belastbarkeit.
- Vorgehen:
- Belastungsbeginn: Spazieren (langsame Steigerung von Spazierdauer und Tempo etc.), langsame Steigerung der alltäglichen Belastung (vom Kochen zum Einkaufen, vom Zusammenräumen zum Putzen)
- Bei Verschlechterung der Symptome: Pause und Rückkehr zum absolvierbaren Niveau nach Abklingen der akuten Beschwerdesymptomatik (“Symptomtitriertes Training”)
- Dies gilt analog für kognitive Leistungen und mentale und emotionale Belastungen
- Physio- Ergo-, und/oder klinisch-psychologische Unterstützung kann nach Bedarf angeboten werden.
- Persönliche Leistungs- bzw. Belastungsgrenzen müssen grundsätzlich respektiert werden.
- Zu beachten ist auch, dass Reizüberflutung vermieden werden sollte (Pausen, Schlafhygiene, “Bildschirmhygiene” etc.)
ME/CFS
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NICE Leitline, Dezember 2021: Myalgic encephalomyelitis (or encephalopathy)/chronic fatigue syndrome: diagnosis and management
https://www.guidelines.co.uk/neurology-/nice-me/cfs-guideline/456613.article
EUROPEAN ME NETWORK (EUROMENE) Expert Consensus on the Diagnosis, Service Provision and Care of People with ME/CFS in Europe.
https://www.preprints.org/manuscript/202009.0688/v2 (Preprint ohne peer review!)
Referenzen
Um Ihnen den Wechsel zwischen Webtool und Leitlinie zu erleichtern, wurden in allen Kapiteln, die sich auch in der gedruckten Version der Leitline wiederfinden, die Nummerierungen der Literaturstellen unverändert übernommen.
Bei den eigenständigen Zusatzkapiteln weden diese für jedes Zusatzkapitel getrennt betrachtet.
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